Das Verlorene Labyrinth
Rückkehr nach Carcassona öffentlich feiern, solange sich die Nachricht vom Scheitern einer Einigung mit Toulouse noch nicht herumgesprochen hat. Dame Agnès wird heute Abend nicht in der Kapelle den Vespergottesdienst besuchen, sondern in der Kathedrale Sant-Nasari.« Er hielt inne. »Ich wünsche, dass du daran teilnimmst. Ebenso wie deine Schwester.«
Alaïs war verblüfft. Sie besuchte gelegentlich den Gottesdienst in der Kapelle des Chateau Comtal, und noch nie hatte ihr Vater etwas daran auszusetzen gehabt, dass sie den Gottesdiensten in der Kathedrale fernblieb.
»Ich weiß, du bist gewiss müde, doch Vicomte Trencavel hält es für wichtig, dass sein Verhalten - und das der Menschen, die ihm nahe stehen - derzeit keinen Anlass zur Kritik gibt. Falls es innerhalb der Ciutat Spione gibt - woran ich persönlich keinen Zweifel habe -, so wollen wir doch nicht, dass unsere religiösen Unterlassungen, so würde es nämlich ausgelegt werden, unseren Feinden zu Ohren kommen.«
»Es geht nicht darum, ob ich müde bin«, sagte sie aufgebracht. »Bischof de Rochefort und seine Priester sind Heuchler, allesamt. Das, was sie predigen, und das, was sie tun, sind zwei verschiedene Dinge.« Pelletier lief rot an, ob aus Zorn oder aus Verlegenheit, konnte sie nicht sagen. »Und Ihr, werdet Ihr auch am Gottesdienst teilnehmen?«, fragte sie.
Pelletier sah ihr nicht in die Augen. »Du wirst verstehen, dass Vicomte Trencavel mich in Anspruch nimmt.«
Alaïs funkelte ihn an. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Ich werde Euch gehorchen, Paire. Aber erwartet nicht von mir, dass ich vor der Figur eines gebrochenen Mannes an einem Holzkreuz niederknie und bete.«
Einen Augenblick lang fürchtete sie, zu unverblümt gewesen zu sein. Doch zu ihrer Überraschung musste ihr Vater lachen. »Recht hast du«, sagt er. »Ich hätte nichts anderes von dir erwartet. Aber sei vorsichtig, Alaïs . Äußere derlei Gedanken nicht zu vorlaut. Vielleicht beobachten sie dich.«
Die nächsten Stunden verbrachte Alaïs in ihrem Gemach. Sie machte einen Breiumschlag aus frischem wildem Majoran für ihren steifen Hals und die geprellte Schulter. Dabei hörte sie dem arglosen Geplapper ihrer Dienerin zu.
Wie Rixende zu berichten wusste, waren die Ansichten über Alaïs ' frühmorgendliche Flucht aus dem Chateau geteilt. Manche äußerten Bewunderung für Alaïs ' Tapferkeit und Mut. Andere, darunter auch Oriane, tadelten sie scharf. Mit ihrem unbesonnenen Verhalten habe sie ihren Gemahl zum Narren gemacht. Schlimmer noch, sie habe den Erfolg der Mission gefährdet. Alaïs hoffte, dass Guilhem das nicht so sah, obwohl sie es befürchtete. Sein Denken bewegte sich meist auf viel begangenen Bahnen. Außerdem war er sehr empfindlich in seinem Stolz, und Alaïs wusste aus Erfahrung, dass sein Wunsch nach Bewunderung und Ansehen bei Hofe ihn manchmal dazu brachte, Dinge zu sagen und zu tun, die seiner wahren Natur zuwiderliefen. Falls er das Gefühl hatte, gedemütigt worden zu sein, wusste sie nicht, wie er sich verhalten würde.
»Aber das können sie jetzt wohl nicht mehr sagen, Dame Alaïs «, sagte Rixende, während sie die Reste der Kompresse entfernte. »Alle sind wohlbehalten zurückgekehrt. Wenn das nicht beweist, dass Gott auf unserer Seite ist, was denn dann?«
Alaïs brachte ein schwaches Lächeln zustande. Sie vermutete, dass Rixende bald anderer Ansicht sein würde, wenn in der Cité bekannt wurde, wie die Dinge wirklich standen.
Die Glocken schlugen, und der Himmel war rosa und weiß gefleckt, als sie vom Château Comtal zu Sant-Nasari gingen. An der Spitze der Prozession schritt ein weiß gekleideter Priester, der ein goldenes Kreuz hoch in die Luft hielt. Die anderen Priester, Nonnen und Mönche folgten ihm.
Danach kamen Dame Agnès, die Gemahlinnen der Consuln und hinter ihnen die Hofdamen. Alaïs war gezwungen, neben ihrer Schwester zu gehen.
Oriane sprach kein einziges Wort mit ihr, kein gutes und kein böses. Wie immer zog sie die bewundernden Blicke der Menschen auf sich. Sie trug ein dunkelrotes Gewand mit einem kunstvollen gold-schwarzen Gürtel, der sehr eng saß, um ihre hohe Taille und die runden Hüften zu betonen. Das schwarze Haar war gewaschen und geölt, und sie hielt die Hände vorbildlich fromm vor sich gefaltet, sodass der Almosenbeutel, der an ihrem Handgelenk baumelte, von allen deutlich gesehen werden konnte.
Alaïs vermutete, dass der Beutel das Geschenk eines Bewunderers war, noch dazu eines reichen
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