Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
Jahrhundert.
    Sie schlenderte herum, war aber nicht sonderlich gefesselt. Die mächtigen Empfindungen, die sie im Hof übermannt hatten, waren verschwunden, doch sie spürte seitdem eine leichte Unruhe. Sie folgte den Pfeilen durch die Räume, bis sie im Runden Zimmer ankam, das trotz des Namens rechteckig war.
    Die Nackenhaare sträubten sich ihr. Der Raum hatte eine Tonnengewölbedecke, und auf den beiden Längswänden waren die Überreste eines Freskos zu sehen, das eine Schlachtszene zeigte. Das dazugehörige Schild klärte sie darüber auf, dass Bernard Aton Trencavel, der am Ersten Kreuzzug teilgenommen und in Spanien gegen die Mauren gekämpft hatte, das Fresko Ende des 11. Jahrhunderts in Auftrag gegeben hatte. Unter den Fabeltieren und Vögeln, die das Fries bevölkerten, waren ein Leopard, ein Zebu, ein Schwan, ein Stier und etwas, das aussah wie ein Kamel.
    Alice bewunderte die himmelblaue Decke, verblasst und rissig, aber noch immer schön. Auf dem Wandbild zu ihrer Linken kämpften zwei chevaliers gegeneinander. Der schwarz gekleidete hielt einen runden Schild und war dazu verdammt, für alle Zeit unter der Lanze des anderen zu fallen. Auf der Wand gegenüber spielte sich ein Kampf zwischen acht Sarazenen und christ- liehen Rittern ab. Sie war besser erhalten und vollständiger, und Alice trat näher, um sich das Ganze genauer anzusehen. In der Mitte drangen zwei Kämpfer aufeinander ein, der eine auf einem ockerfarbenen Pferd, der andere, der christliche Ritter, saß auf einem weißen Pferd und hielt einen mandelförmigen Schild. Ohne nachzudenken, hob Alice die Hand, um das Bild zu berühren. Die Aufseherin schnalzte missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
    Als Letztes, bevor sie das Schloss verließ, besichtigte sie einen kleinen Garten, der vom Haupthof abging, der Cour du Midi. Die Gebäude drum herum waren verfallen, nur die hohen Bogenfenster hielten die Erinnerung wach. Grüne Efeuranken und andere Pflanzen wanden sich durch die hohlen Säulen und Risse in den Mauern. Über allem lag ein Hauch von vergangener Pracht.
    Als sie nach einem Rundgang wieder in die Sonne zurückkehrte, war Alice nicht mehr von einem Gefühl der Trauer erfüllt, sondern der Reue.
     
    Die Straßen der Cité waren noch belebter, als Alice aus dem Chateau Comtal kam.
    Sie hatte noch immer ein wenig Zeit bis zu ihrem Termin bei der Anwältin, daher ging sie in die entgegengesetzte Richtung als am Abend zuvor und gelangte zur Place Saint-Nazaire, die von der Basilika beherrscht wurde. Zunächst jedoch verweilte ihr Blick auf der Fin-de-Siècle-Fassade des Hôtel de la Cité, die dezent und eindrucksvoll zugleich war. Von Efeu umrankt, mit schmiedeeisernen Toren, Bogenfenstern mit Bleiglas und mit tiefroten Markisen von der Farbe reifer Kirschen, roch es förmlich nach Geld.
    Während Alice davor stand, glitten die Türen auf und gewährten ihr einen Blick auf die holzvertäfelten und mit Teppichen behängten Wände. Eine Frau kam heraus. Groß, mit hohen Wangenknochen und makellos geschnittenem schwarzen Haar, das von einer goldgeränderten Sonnenbrille aus dem Gesicht gehalten wurde. Ihre blassbraune, ärmellose Bluse und die passende Hose schienen zu schimmern und das Licht zu spiegeln, wenn sie sich bewegte. Sie trug einen goldenen Armreif am Handgelenk und eine eng anliegende Kette um den Hals, und sie sah aus wie eine ägyptische Prinzessin.
    Alice war sicher, dass sie die Frau schon einmal gesehen hatte. In einer Illustrierten oder irgendeinem Film. Oder vielleicht im Fernsehen?
    Die Frau stieg in einen Wagen. Alice sah dem Auto nach, bis es verschwunden war, dann ging sie zum Portal der Basilika. Eine Bettlerin stand davor, eine Hand ausgestreckt. Alice kramte in ihrer Tasche, drückte der Frau eine Münze in die Hand und wollte dann hineingehen.
    Als ihre Hand schon an der Tür war, erstarrte sie. Es kam ihr vor, als stünde sie in einem Tunnel aus kalter Luft.
    Sei nicht albern.
    Alice versuchte sich einen Ruck zu geben, entschlossen, derlei irrationalen Gefühlen nicht nachzugeben. Doch das gleiche Grauen, das sie in Saint-Etienne in Toulouse erfasst hatte, hielt sie zurück.
    Sie entschuldigte sich bei den Leuten hinter ihr, trat zur Seite und sank auf einen schattigen Steinsims neben dem Nordportal. Was zum Teufel ist bloß mit mir los?
    Ihre Eltern hatten sie beten gelehrt. Als sie alt genug war, um sich zu fragen, warum es das Böse in der Welt gibt, und feststellte, dass die Kirche ihr keine

Weitere Kostenlose Bücher