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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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werden, und der Kreislauf würde erneut beginnen.«
    Alice erinnerte sich an die Worte in Grace' Bibel.
    »Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.«
    Audric nickte. »Sie müssen wissen, dass die Bons Homes von den Menschen, denen sie dienten, sehr geliebt wurden. Sie ließen sich nicht dafür bezahlen, wenn sie Ehen schlossen, Kinder tauften oder Tote bestatteten. Sie erhoben keine Steuern, verlangten keinen Zehnten. Es gibt eine Geschichte, wie ein parfait einen Bauern sieht, der auf seinem Acker kniet. >Was machst du da?<, fragt er den Mann. >Ich danke Gott für die gute Ernte<, antwortet der Bauer. Der parfait lächelt und hilft dem Mann auf die Beine. >Das ist nicht Gottes Werk, sondern dein eigenes. Denn deine Hand hat den Boden im Frühling umgegraben, sie hat ihn bestellte« Er sah Alice fragend an. »Verstehen Sie, was das bedeutet?«
    »Ich denke, ja«, sagte sie zögernd. »Die Katharer glaubten, dass der einzelne Mensch Kontrolle über sein eigenes Leben hat.« »Innerhalb der Zwänge und Grenzen der Zeiten und Orte, in die wir hineingeboren werden, ja.«
    »Und hat Alaïs sich diese Überzeugung angeeignet?«, fragte sie hartnäckig.
    » Alaïs war wie sie. Sie half den Menschen, stellte die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen. Sie tat, was sie für richtig hielt, ungeachtet dessen, was Tradition und Sitte verlangten.« Er lächelte. »Wie die Katharer glaubte sie nicht an das Jüngste Gericht. Sie glaubte, dass das Böse, das sie überall sah, nicht Gottes Werk sein konnte, aber letztendlich, nein. Sie war keine Katharerin. Alaïs war eine Frau, die an die Welt glaubte, die sie anfassen und sehen konnte.«
    »Und Sajhë ?«
    Audric antwortete nicht direkt. »Heute ist die Bezeichnung Katharer allgemein geläufig, doch zu Alaïs ' Zeiten nannten die Gläubigen sich selbst Bons Homes. In den lateinischen Texten der Inquisition werden sie albigenses oder heretici genannt.«
    »Und woher kommt dann der Ausdruck Katharer?«
    »Nun, wir können unsere Geschichten doch nicht von den Siegern schreiben lassen«, sagte er. »Den Begriff haben ich und andere ...« Er brach ab, lächelte, als müsste er an einen alten Scherz denken. »Es gibt viele unterschiedliche Erklärungen. Zum Beispiel die, dass catar im Okzitanischen - cathare im Französischen - aus dem griechischen katharos stammt, das >rein< bedeutet. Aber was genau der Ursprung ist, kann keiner wissen.« Alice runzelte die Stirn. Sie merkte, dass ihr irgendwas entging. Aber was?
    »Und der Glaube selbst? Wo ist der entstanden? Doch nicht in Frankreich?«
    »Die Anfänge des europäischen Katharismus liegen im Bogomilismus, einem dualistischen Glauben, der sich seit dem 10. Jahrhundert in Bulgarien, Mazedonien und Dalmatien ausbreitete. Er war verwandt mit älteren Glaubensformen - beispielsweise dem Zoroastrianismus in Persien oder dem Manichäismus. Die Bogomilen glaubten an Reinkarnation.«
    Ein Gedanke nahm allmählich in ihrem Kopf Gestalt an. Die Verbindung zwischen allem, was Audric ihr erzählte, und dem, was sie bereits wusste.
    Warte ab und du wirst es erfahren. Hab Geduld.
    »Im P a laïs des Arts in Lyon«, fuhr er fort, »findet sich die Handschrift eines katharischen Textes des Johannesevangeliums, eines der ganz wenigen Dokumente, das der Vernichtung durch die Inquisition entging. Es ist in der langue d'Oc verfasst, daher galt sein Besitz damals als strafbare, häretische Handlung. Von allen heiligen Texten der Bons Homes war das Johannesevangelium der bedeutsamste. Es ist das Evangelium, das den größten Wert auf persönliche, individuelle Erkenntnis durch Wissen legt - die Gnosis. Die Bons Homes beteten keine Götzenbilder an, Kreuze oder Altäre, die aus den Steinen und Bäumen der niederen Schöpfung des Teufels gefertigt waren - für sie hatte das Wort Gottes die allerhöchste Bedeutung.«
    Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
    »Reinkarnation«, sagte sie langsam, eigentlich laut denkend. »Wie lässt sich diese Vorstellung denn überhaupt mit der orthodoxen christlichen Lehre in Einklang bringen?«
    »In der christlichen Theologie nimmt das Geschenk des ewigen Lebens an diejenigen, die an Christus glauben und durch seinen Opfertod am Kreuz erlöst werden, eine zentrale Rolle ein. Reinkarnation ist nichts anderes als eine Form des ewigen Lebens.«
    Das Labyrinth. Der Weg zu ewigem Leben.
    Audric erhob sich und trat ans offene Fenster. Als

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