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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Leid.«
    »Sie ist doch noch ein Kind.«
    »Sie soll neun oder zehn sein.«
    »Neun«, erwiderte er schroff.
    Guilhem runzelte die Stirn. »Dann ist sie jedenfalls alt genug, um schon einiges zu verstehen«, überlegte er laut. »Also, selbst wenn Oriane sie überreden konnte, mit ihr das Lager zu verlassen, und sie nicht zwingen musste, dann hat Bertrande inzwischen sicherlich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Hatte sie gewusst, dass Oriane im Lager war? Weiß sie überhaupt, dass sie eine Tante hat?«
    Sajhë nickte. »Sie weiß, dass Oriane es nicht gut meint mit Alaïs . Sie wäre freiwillig nicht mitgegangen.«
    »Nicht, wenn sie gewusst hätte, wer sie war«, pflichtete Guilhem ihm bei. »Aber wenn nicht?«
    Sajhë überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie mit einer Fremden mitgehen würde. Wir hatten besprochen, dass sie auf uns warten würde ...«
    Er brach ab, weil er merkte, dass er sich fast verraten hätte, doch Guilhem hing seinen eigenen Gedanken nach. Sajhë atmete erleichtert auf.
    »Ich glaube, sobald wir Bertrande befreit haben, müssten wir mit den Soldaten fertig werden«, sagte Guilhem. »Je länger ich darüber nachdenke, desto eher glaube ich, dass Oriane ihre Männer weiter unten ein Lager aufschlagen lässt und mit Eurer Tochter allein hier heraufkommt.«
    Sajhë hörte ihm immer aufmerksamer zu. »Weiter.«
    »Oriane wartet seit über dreißig Jahren auf diesen Augenblick. Verstellung und Geheimhaltung sind für sie so selbstverständlich geworden wie Atmen. Ich glaube, sie wird nicht riskieren, dass noch irgendjemand anderer erfährt, wo die Höhle genau liegt. Das Geheimnis will sie für sich behalten, und da sie davon ausgeht, dass außer ihrem Sohn keiner weiß, dass sie hier ist, rechnet sie bestimmt nicht mit Widerstand.«
    Guilhem stockte kurz. »Oriane ist ...« Er setzte neu an. »Um in den Besitz der Labyrinth-Trilogie zu gelangen, hat Oriane betrogen, gemordet, ihren Vater und ihre Schwester verraten. Sie hat sich für diese Bücher selbst verdammt.«
    »Gemordet?«
    »Ihr erster Gemahl, Jehan Congost, ohne Frage, obwohl sie nicht selbst das Messer geführt hat.«
    »François«, murmelte Sajhë so leise, dass Guilhem es nicht hören konnte. Eine blitzartige Erinnerung: Schreie, das verzweifelte Schlagen von Pferdehufen, während Ross und Reiter immer tiefer in den Sumpf gezogen wurden.
    »Und ich glaube bis heute, dass sie auch für den Tod einer Frau verantwortlich ist, die Alaïs sehr viel bedeutet hat«, sprach Guilhem weiter. »Ihr Name ist mir nach so langer Zeit entfallen, aber sie war eine weise Frau, die in der Ciutat lebte. Sie hat Alaïs alles über Arzneien und Heilkräuter gelehrt, wie man die Gaben der Natur zum Wohl der Menschen einsetzt.« Er hielt inne. » Alaïs hat sie geliebt.«
    Aus Halsstarrigkeit hatte Sajhë sich bisher nicht zu erkennen gegeben. Aus Halsstarrigkeit und Eifersucht hatte er nichts von seinem Leben mit Alaïs verraten.
    »Esclarmonde ist damals nicht gestorben«, sagte er, weil er sich nicht länger verstellen konnte. Guilhem wurde ganz ruhig. »Was?«, sagte er. »Wusste Alaïs das?«
    Sajhë nickte. »Nach ihrer Flucht aus dem Chateau Comtal suchte sie Hilfe bei Esclarmonde - und deren Enkelsohn. Sie ging ...«
    Der Klang von Orianes durchdringender Stimme, herrisch und kalt, unterbrach das Gespräch. Die beiden Männer, erfahrene Bergkämpfer, ließen sich sofort zu Boden fallen. Ohne einen Laut krochen sie mit gezückten Schwertern in Deckung. Sajhë versteckte sich hinter einem Felsbrocken, der etwas unterhalb vom Höhleneingang lag, Guilhem hinter Weißdornbüschen, deren stachelige Zweige spitz und bedrohlich in die Dämmerung ragten.
    Die Stimmen wurden lauter. Sie hörten die Stiefel der Soldaten, das Klappern von Rüstung und Waffen, als sie über das Geröll und die Steine auf dem felsigen Pfad bergauf kletterten.
    Sajhë hatte das Gefühl, als würde er jeden Schritt mit Bertrande machen. Jeder Augenblick dehnte sich ewig lang. Die Geräusche der Schritte, das Echo der Stimmen, alles wiederholte sich wieder und wieder und schien doch nicht näher zu kommen. Endlich tauchten zwei Gestalten unter den Bäumen auf. Oriane und Bertrande. Wie Guilhem vermutet hatte, waren sie allein. Er sah, dass Guilhem zu ihm herüberstarrte und ihn mit Blicken mahnte, noch nichts zu unternehmen, sondern abzuwarten, bis Oriane in Reichweite war und sie Bertrande gefahrlos in Sicherheit bringen

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