Das Verlorene Labyrinth
in seinem Gesicht beunruhigte sie. »Ich hab ihn mit der Pinzette hochgehoben, um ihn mir genauer anzusehen, aber bevor ...«
»Was für ein Ring?«, fiel er ihr ins Wort. »Woraus war er gemacht?«
»Weiß ich nicht. Irgendein Stein, kein Silber oder Gold oder so. Ich bin nicht dazu gekommen, ihn mir richtig anzuschauen.« »War irgendwas eingraviert? Buchstaben, ein Siegel, ein Muster?«
Alice öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn dann wieder. Auf einmal wollte sie ihm gar nichts mehr erzählen.
»Ich weiß nicht. Es ging alles so schnell.«
Noubel betrachtete sie einen Augenblick finster, dann schnippte er mit den Fingern und winkte dem jungen Polizisten, der hinter ihm stand. Alice fand, dass auch der Uniformierte aufgeregt wirkte.
»Biau. On a trouvé quelque chose comme ça?«
»Je ne sais pas, Monsieur l'Inspecteur.«
»Dépêchez-vous, alors. Il faut le chercher ...Et informez-en Monsieur Authié. Allez! Vite!«
Die Wirkung der Schmerzmittel ließ allmählich nach, und ein hartnäckiger, dumpfer Schmerz lag hinter Alice' Augen. »Haben Sie sonst irgendetwas angerührt, Dr. Tanner ?«
Sie massierte sich die Schläfen mit den Fingerspitzen. »Ich bin versehentlich mit dem Fuß gegen einen der beiden Schädel gestoßen. Aber abgesehen davon und abgesehen von dem Ring, nichts. Wie ich bereits sagte.«
»Was ist mit dem Fundstück unter dem Felsen?«
»Die Brosche? Die habe ich Dr. O'Donnell gegeben, nachdem wir die Höhle verlassen hatten.« Bei der Erinnerung rutschte sie unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich habe keine Ahnung, was sie damit gemacht hat.«
Noubel hörte nicht mehr zu. Er schaute immer wieder über seine Schulter nach hinten. Schließlich hörte er auf, ihr was vorzumachen, und klappte seinen Notizblock zu.
»Wenn Sie bitte hier warten würden, Dr. Tanner. Vielleicht ergeben sich noch weitere Fragen an Sie.«
»Aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen«, protestierte sie. »Kann ich denn nicht wenigstens zu den anderen?«
»Später. Vorläufig bleiben Sie bitte hier.«
Alice sank verärgert und müde in ihren Sessel zurück, während Noubel schwerfällig aus dem Zelt trat und den Berg hinauf zu einer Gruppe Uniformierter stapfte, die den Felsen untersuchten. Als Noubel näher kam, teilte sich der Kreis gerade so weit, dass Alice ganz kurz einen großen Mann in Zivil erblickte, der in der Mitte stand.
Ihr stockte der Atem.
Er trug einen maßgeschneiderten blassgrünen Sommeranzug und ein frisches weißes Hemd mit Krawatte, und er hatte offensichtlich das Sagen. Seine Autorität war unverkennbar, ein Mann, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, die prompt ausgeführt wurden. Im Vergleich zu ihm wirkte Noubel ungepflegt und zerzaust. Alice spürte ein Prickeln der Beklommenheit. Doch der Mann fiel nicht nur durch seine Kleidung und Haltung auf. Selbst auf diese Entfernung konnte Alice seine starke Persönlichkeit, sein Charisma spüren. Sein Gesicht war blass und hager, was durch sein dunkles, glatt aus der hohen Stirn gekämmtes Haar noch betont wurde. Er hatte etwas Klösterliches an sich. Er kam ihr bekannt vor.
Sei nicht albern. Woher solltest du ihn kennen?
Alice stand auf, trat an den Rand des Sonnenzeltes und beobachtete aufmerksam, wie die beiden Männer sich von der Gruppe entfernten. Sie sprachen miteinander. Oder besser, Noubel sprach, während der andere Mann zuhörte. Kurz darauf drehte er sich um und stieg zum Höhleneingang hinauf. Der Polizeiposten dort hob das Absperrband hoch, der Mann duckte sich darunter hindurch und verschwand.
Sie konnte sich nicht erklären, warum, aber ihre Handflächen waren vor Angst schweißnass. Ihr sträubten sich die Nackenhaare, genau wie in dem Augenblick, als sie in der Kammer das Geräusch gehört hatte. Sie konnte kaum atmen.
Das ist alles deine Schuld. Du hast ihn hierher geführt.
Alice riss sich zusammen. Was redest du dir da ein? Aber die Stimme in ihrem Kopf wollte nicht schweigen.
Du hast ihn hierher geführt.
Ihre Augen kehrten wie magnetisch angezogen zum Höhleneingang zurück. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Der Gedanke, dass er dort drin war, nach allem, was getan worden war, um das Labyrinth verborgen zu halten.
Er wird es finden.
»Was denn finden?«, murmelte sie vor sich hin. Sie wusste es nicht.
Aber sie wünschte, sie hätte den Ring an sich genommen, als sie die Gelegenheit dazu hatte.
Kapitel 13
N oubel ging nicht in die Höhle. Stattdessen wartete er mit rotem Gesicht
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