Das verlorene Land
sonstigen Kopfschmuck, der ihn als Angehörigen von Baumers Truppe kennzeichnete. Je länger sie diese Typen ansah, umso mehr hatte sie den Eindruck, dass es sich um Drogenschmuggler handelte, die sich den Spaß gönnten, das Gebiet ihrer mörderischen Bandenkriege in Mexico City zu verlassen, um hier ein bisschen mitzumischen.
Sie zog einen Energieriegel aus einer ihrer Taschen und spülte die Bissen mit einigen Schlucken aus ihrer Wasserflasche herunter.
Jetzt kam es darauf an, die weitere Strategie genau zu überlegen.
49
New York
»Wir sollten von hier verschwinden, Miss Jules«, sagte Rhino über das Hämmern seiner P-90 hinweg. »Das ist kein günstiger Aufenthaltsort für Dickhäuter wie mich, ich komme mir vor wie eine bedrohte Spezies.«
Julianne hob ihre MP über das Rezeptionspult und feuerte eine kurze Salve ab.
»Ich bin ganz deiner Meinung. So langsam geht mir der Arsch auf Grundeis, muss ich sagen. Und wenn es so weitergeht, werden mir diese Mistkerle von Henry Arschloch Ceky selbigen glattweg abgeschossen haben.«
Genau das war es, was an der Sache so nervte. Nicht dass ihre Schulter höllisch wehtat und sie eine Fleischwunde an der linken Hüfte abbekommen hatte, aus der ziemlich viel Blut floss. Was sie wirklich aus der Bahn warf, war die Tatsache, dass ihre Fahrt nach New York, dieses riskante, grotesk teure Unternehmen und die damit einhergehenden ausgeklügelten Tricks, völlig umsonst gewesen waren. Die ganzen Risiken, die sie eingegangen waren, die höllisch harte Arbeit bei dem Räumungstrupp, das alles war einen Dreck wert gewesen. Es gab überhaupt keine Rubin-Dokumente, keine Pläne von den Sonoma-Ölfeldern, keine Rechtstitel, keine Verträge für die Erschließung und Ausbeutung der dortigen Vorkommen, nichts. Das alles war nur eine beschissene Falle, in die sie wie eine Bande Volltrottel marschiert waren. Womöglich gab es nicht einmal diesen Rubin. Immerhin hatten sie den Typen ja nie persönlich kennengelernt, nur seinen angeblichen
Anwalt. Und der hatte sie nur aus einem einzigen Grund quer durchs Land in wahnsinnige Feuergefechte geschickt: Dass sie an dieser ganz bestimmten Adresse in New York, der gefährlichsten Stadt der Welt, von einer Horde Auftragskiller beseitigt wurden, damit ihre Leichen inmitten der tausend anderen verschwanden, in diesem Massengrab von Piraten und Dschihad-Kämpfern, die alle früher oder später unter der Erde landeten.
Und das alles nur deshalb, weil sie ihn in Acapulco aus dem Boot geworfen hatten.
Jesses, es war wirklich bescheuert, aber manche Leute waren einfach rachsüchtig.
Rhino sprang ein paar Schritte zur Seite, um seinen arg in Mitleidenschaft gezogenen Wikingerhelm aufzuheben. Er war ganz schön verbeult, und ein Horn war abgebrochen, aber er zog ihn wieder auf, nachdem er sich den Hautfetzen, der ihm von der Stirn hing, nach oben geschoben hatte. Nachdem sich derart viel Blut aus dieser Wunde über sein Gesicht und seine Brust ergossen hatte, sah er wirklich wie ein echter Barbar aus, als er sich jetzt ruckartig aufrichtete und über das Rezeptionspult hinweg eine weitere Salve abgab. Julianne war sich nicht ganz sicher, aber es kam ihr so vor, als wäre der Beschuss von draußen nicht mehr so heftig wie eben noch. Die spöttischen Rufe ihrer Angreifer waren verstummt, weil sie sich auf ihr mörderisches Treiben konzentrierten. Rhino war sich ziemlich sicher, dass er mindestens einen von ihnen mit einem Kopfschuss erledigt hatte, und sie ging davon aus, dass es ihr gelungen war, einem von diesen verrückten Kerlen den Arm abzuschießen. Die sollten bloß nicht glauben, dass sie jemals die Belohnung von Mr. Cesky bekommen würden, nachdem sie sie umgebracht und vergewaltigt hatten, was sie wahrscheinlich in dieser Reihenfolge durchführen wollten.
»Wie viel Munition haben Sie noch?«, rief Rhino.
»Dreieinhalb Clips. Und wie sieht’s bei dir aus?«
»Ich fürchte, ich bin schon bei meinem letzten Ladestreifen angekommen, Miss Jules.«
»Herrgott, Rhino. Das ist doch kein Videospiel hier.«
Das dumpfe Dröhnen einer Schrotflinte war dreimal hintereinander in kurzen Abständen zu hören, bevor Julianne das trockene Klicken des Hahns vernahm, der auf eine leere Patronenkammer traf. Sie sprang auf und wirbelte herum, die P-90 im Anschlag, und bemerkte einen Angreifer, der durch die zerborstenen Überreste des Schaufensters auf sie zustürzte. Als er gut einen Meter hoch sprang, um die aufragenden Glassplitter zu überwinden,
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