Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
Vom Netzwerk:
werden. Es war, als würde man auf dem Deck eines Schiffs stehen, inmitten eines tosenden Sturms und vom Druck einer riesigen Welle durch die Luft gewirbelt werden. Sie erinnerte sich voller Schaudern, wie Ryan, der nur einen halben Meter neben ihr gestanden hatte und damit etwas näher an der Explosion, ganz einfach zerfetzt worden war und seine Gedärme über die weiße Fassade des Eckgeschäfts spritzten.
    Sie verstand endlich, dass sie nicht von Piraten angegriffen worden oder in einen ihrer Raketenangriffe geraten waren. Vielmehr hatte die Army sie für Piraten gehalten und ins Visier genommen. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht feuerten sie einfach nur blind in diesen Teil von Manhattan, weil es hier massenweise Freibeuter gab. Sie tastete ihren Brustkorb nach der Waffe ab, die sie im Hotel in der Duane Street geladen hatte.
    »Ich hab sie«, sagte Rhino mit gesenkter Stimme. »Sie können nicht kämpfen. Ich hab Ihren Arm wieder eingekugelt und Ihnen ein Schmerzmittel gegeben. Bleiben Sie einfach ruhig liegen, sonst werden wir noch gekillt.«
    Ein Kilt?, fragte sie sich erstaunt. Warum sollte ich mir denn einen Kilt kaufen?
    Ihre Lider fielen zu, und sie schlief ein.
    Als sie wieder aufwachte, war es immer noch dunkel, aber ihr Kopf war jetzt viel klarer. Die Wirkung des Morphiums hatte offenbar nachgelassen. Julianne blinzelte ein paarmal und bewegte vorsichtig ihre verletzte Schulter. Sie fühlte sich steif an und tat sehr weh, aber sie konnte
den Arm bewegen, obwohl Rhino ihn in eine Schlinge gelegt hatte, die er aus einem Stück ziemlich teurer Seide geknotet hatte.
    »Sind Sie wach?«, fragte er. »Geht’s Ihnen besser?«
    »Wasser«, krächzte sie, und er hielt ihr eine Feldflasche hin. Sie war blutverschmiert, und das Wasser in dem Plastikbehälter hatte einen metallischen Nachgeschmack. Es war warm und abgestanden, aber Jules schluckte es gierig hinunter.
    »Alles okay«, sagte Rhino. »Die Piraten sind weg. Sie sind nicht reingekommen. So wie’s aussieht, erinnert die diesjährige Mode ganz schön an 2003, hm?«
    Grinsend hielt er ein paar goldene Ledersandaletten hoch.
    Jules starrte ihn an.
    »Ich war fast den ganzen Tag bewusstlos, und da fällt dir kein besserer Spruch ein?«, fragte sie.
    Er grinste noch breiter, als er merkte, dass sie wieder ganz gut beieinander war.
    »Können Sie sich bewegen, Miss Julianne? Eine Waffe halten? Wenn nicht, ist es auch egal, ich kann zwei von den Babys gleichzeitig bedienen«, sagte er und hielt beide P90-Maschinenpistolen in die Höhe. Julianne holte tief Luft, nahm etwas Schwung, stemmte sich auf die Knie und stand ganz auf. Sie atmete tief ein und aus, um ihr Schwindelgefühl loszuwerden. Rhino war sofort neben ihr und legte einen Arm um sie, damit sie nicht fiel.
    »Die Kämpfe haben sich Richtung Downtown und nach Westen verzogen«, erklärte er. »Wir haben Glück gehabt. Ich hatte schon befürchtet, wir würden zwischen den beiden Parteien zerrieben.«
    Julianne ließ sich von ihm durch den zerstörten Laden führen. Es sah so schlimm hier aus, dass man kaum erkennen konnte, welche Zerstörungen neu hinzugekommen und welche durch Einwirkungen von Wind und Wetter in den letzten Jahren seit dem Effekt zustande gekommen
waren. Hier und da bemerkte sie einen Kleiderhaufen und Schmuck mit schwarzen, hart gewordenen Überresten der Verschwundenen. Man konnte noch gut erkennen, was die Menschen hier getragen hatten, als die Energiewelle über sie gekommen war. Zum größten Teil aber war der Laden ein Durcheinander an zerborstenen Regalen, zerbrochenem Glas und vergammelten Klamotten und …
    »Oh …«
    Sie schloss die Augen und musste schlucken, als sie den abgerissenen Arm bemerkte, der unter einem verrußten Regal herausschaute.
    »Tut mir leid, Miss Julianne. Ich dachte, ich hätte die Überreste alle weggeschafft.«
    Er ging hin, um den Arm fortzunehmen, aber Jules hielt ihn fest und schüttelte den Kopf.
    »Das macht nichts, lass mal. Wir gehen lieber weiter. Ich möchte zum Union Square, bevor die Sonne aufgeht.«
    Rhino half ihr raus auf die Straße, wo es aussah wie in Frankreich, als dort der Bürgerkrieg geherrscht hatte. Die Szenerie der Zerstörung wurde erhellt von umstehenden brennenden Gebäuden. Die Explosionen hatten Autos durch die Luft und teilweise in die Schaufenster der Geschäfte geschleudert, die Karosserien waren mitunter nur noch zermalmte Metallhaufen. Reifen qualmten. Die Einrichtungen der Läden brannten. Der langgestreckte

Weitere Kostenlose Bücher