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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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war, nippte nachdenklich an seiner Tasse Tee, bevor er seinen Keks – vielleicht auch eher sein Biskuit – hineintauchte. Er trat zur Seite, als die Wachmänner den bewusstlosen Richardson nach draußen trugen. Die dunkle Haut des Attentäters war übersät mit Brandmalen und kleinen Schnitt- und Platzwunden. Es waren Hunderte, einige davon hatten eine Salzkruste. Er stank nach säuerlichem Schweiß, seinem eigenen Urin
und Fäkalien. Caitlin hielt ihre Nase dicht über die Teetasse, umso wenig wie möglich von diesem Geruch abzubekommen, und erinnerte sich an jemanden aus der Vergangenheit, der eine ausgehöhlte, mit Parfüm gefüllte Orange bei sich trug. Indem er an der Orange roch, versuchte er den Gestank der Menschenmenge zu ertragen.
    Wer war das nochmal gewesen? Vor vielen Jahren, in der Schule, hatte sie in Geschichte davon gehört. Und jetzt konnte sie sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal eine essbare Orange gesehen hatte.
    Hör auf, sagte sie sich. Seit man ihr den Tumor aus dem Gehirn operiert hatte, arbeitete ihr Gehirn nicht mehr so gut wie früher. Allzu oft schweiften ihre Gedanken ab.
    Der Gestank schien Dalby nicht im Geringsten zu stören, aber er war einfühlsam genug, um aus dem Raum zu gehen, als der Weg endlich frei war.
    »Jungs, warum schaffen wir unseren Gast nicht nach London?«, fragte Dalby. »Und stecken ihn dort in den Käfig?«
    »Ja, Sir«, erwiderte einer der Wächter. »Jawohl, Mr. Dalby, wird gemacht.«
    Die Luft in der kleinen Zelle musste sehr dick gewesen sein, denn hier in dem modrigen und stickigen Lagerkeller roch es geradezu frisch wie in einem vom Wind durchzausten Bergwald, dachte Caitlin, als sie zum ersten Mal wieder richtig Luft holte. Sie hatte Dalby nichts davon erzählt, dass das Verhör von Richardson ihre traumatischen Erinnerungen an Folterungen wachgerufen hatte, die sie unter der Hand von al-Banna erlitten hatte. Aber Dalby war sicherlich vertraut mit ihrer Akte, denn er hatte mehr als einmal angeboten, die Verantwortung für das Verhör ganz allein zu übernehmen.
    Das hatte sie abgelehnt. Richardson und seine Leute hatten sich an ihrer Familie vergriffen. Sie hatte sich vorgenommen, den Raum erst zu verlassen, wenn sie seinen Widerstand gebrochen hatten und er ihnen erzählte, wer
hinter alldem steckte. Außerdem glaubte sie auch, dass ihre Anwesenheit seine Unerschütterlichkeit besonders untergraben würde. Er hatte gesehen, wie sie seine Begleiter getötet hatte, einige von ihnen kaltblütig, und es gab keinen Grund für ihn anzunehmen, dass sie ihm gegenüber mehr Milde walten lassen würde.
    »Insgesamt hat er uns doch eine Menge über sich mitgeteilt«, stellte Dalby fest, als sie den Fuß der Leiter erreichten, die nach oben in die ehemalige Gaststätte führte. »War ja nicht ganz einfach, ihn zum Reden zu bringen. Ihr Mr. Baumer scheint ja ganz genau zu wissen, wie er seine Leute einschüchtern kann.«
    Caitlin schüttelte angewidert den Kopf.
    Bilal Baumer. Al-Banna.
    Und sie hatte gedacht, dass sie diesen Schweinehund losgeworden war. Aber nun war er wieder in ihr Leben getreten, auch wenn er solche Versager wie Richardson und Konsorten stellvertretend für sich geschickt hatte. Caitlin trank ihren Kaffee aus, bevor sie die morsche Holzleiter nach oben stieg. Es amüsierte sie, ja rührte sie beinahe, dass Dalby sich heimlich bemühte, ihr nicht auf den Hintern zu schauen, als er direkt vor seinen Augen auftauchte.
    Er war ein guter Kerl, dieser Dalby, auch wenn er während des Verhörs ein bisschen schnell mit der Rasierklinge und dem Feuerzeug bei der Hand gewesen war. Er folgte ihr die Leiter hinauf und dirigierte sie durch die kleine Ansammlung von Pulten. An einem saß die Sekretärin, genehmigte sich eine Tasse Tee, knabberte an einem Scone mit Marmelade und las ein altes Klatschmagazin. Inzwischen wurden solche Blätter gar nicht mehr publiziert, jedenfalls nicht auf Papier. Immerhin war ein Großteil der Prominenten der Welt im Jahr 2003 verschwunden. Vor allem aber hatte das Ministerium für Ressourcen festgelegt, dass Yellow-Press-Erzeugnisse wie Hello! oder OK!
»entsprechend der nationalen Erfordernisse als Überflussprodukte einzuordnen« seien, weshalb es sehr teuer war, derartige Blätter weiterhin zu produzieren. Wie die meisten Printmedien waren sie verkleinert worden und online gegangen. Im Internet existierten sie von den mageren Erträgen der Werbung und Abo-Gebühren.
    »Hier entlang, bitte«, sagte

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