Das verlorene Observatorium
dies ablehnten. Unhygienisch. Abstoßend. Tabu.
Tap geht allein
Nachdem sie einige Wochen bei den Augenspezialisten verbracht hatte, ging Anna wieder allein spazieren. Sie ließ sich nicht von mir führen, sie klammerte sich weder an meinen Arm, noch versuchte sie wie zuvor, nach meiner Hand zu greifen. Sie stand aufrecht und allein. Wenn ich ihr zu nahe kam, wurde ich mit dem Stock geschlagen. Anna Tap hatte wirklich ihr Selbstvertrauen wiedergefunden. Sie machte mir auch keine Geschenke mehr.
Im Tunnel besuchte mich Anna Tap nicht mehr, selbst wenn sie eingeladen wurde. Sie verbrachte viel Zeit mit ihren Gehlehrern, Mädchen, die in ihrem Alter waren. Schmiedete Pläne.
Ein Ausflug
An einem Tag Mitte Januar hatte (und habe) ich Geburtstag. An diesem Geburtstag erhielt ich die folgenden Geschenke:
1. Vom Pförtner: ein Zischen.
2. Von Claire: nichts.
3. Von meiner Mutter: ein Paar rote Baumwollhandschuhe.
4. Von Anna Tap: einen Ausflug.
Dieser Ausflug von Anna war ein Überraschungsausflug, mit dem sie sich, wie sie sagte, schon seit mehreren Wochen beschäftigte, genaugenommen, seit eine gewisse Person, die weiße Handschuhe trug, verkündet hatte (diese Information ließ sie völlig zusammenhanglos und beiläufig zwischen zwei Sätzen fallen), dass sein Geburtstag nahe. Der Ausflug begann mit einer Busfahrt. Ich saß ganz vorn neben Anna Tap. Ich bemerkte mit leichtem Schrecken, dass der Bus nicht wie gewohnt in Richtung Stadt fuhr, sondern sich von ihr entfernte, in eine Richtung fuhr, die einzuschlagen ich nicht gewohnt war: Wir bewegten uns hinaus aufs Land. Seit Tearsham Park unbenannt worden war, hatte ich völlig vergessen, dass es das Land überhaupt noch gab. Nach einer halben Stunde waren wir angekommen. Der Bus fuhr ohne uns weiter.
Was riechst du, Francis? Verwesung und Fäulnis. Ist es ein angenehmer Geruch? Nein.
Schau nach oben, Francis. Sind da Vögel? Tauben und Möwen. Was siehst du vor dir?
Eine Metallmauer, die sich über Meilen erstreckt. Gibt es einen Eingang? Da ist eine Metalltür. Offne sie, wir gehen hinein.
Ein Mann in einem schmutzigen Overall, mit Stiefeln und dicken Gummihandschuhen, einem Helm auf dem Kopf und einer Papiermaske über Mund und Nase, kam sofort zu uns gelaufen. Anna nahm einen Zettel aus der Tasche, der Mann las und ließ uns in Ruhe, nachdem er uns, aus Sicherheitsgründen, angewie sen hatte, immer am Rand zu bleiben.
Was siehst du, Francis?
Ich weiß nicht. Überall sind Sachen, alte Matratzen, alte Fahrräder, eingeschlagene Fernseher, kaputte Autos, Teppiche, Koffer, Zeitungen, Illustrierte, Taschen, Vorhänge, Bücher, Knochen, Kartons, verfaulende Lebensmittel, Schutt,
Weinst du?
Nein.
Gut, dann mach weiter.
Da liegen zerbrochene Stühle, Bodendielen, Fensterrahmen, verdrehte und zerschlagene Schaufensterpuppen, Kleidung, Kassenzettel, Balken, Lampen, Dosen, Plattenspieler, alles kaputt,
Hör auf zu weinen und mach weiter.
Ich weine nicht.
Mach weiter.
Da liegen Tische mit drei Beinen, da sind Teller und Uhren. Da sind Tassen, zerbrochenes Glas, Flaschen, Gemälde, Poster, Reifen, Kartons, Drähte, Schuhe, Brillen, Perücken, Garderoben, Kommoden, Türen,
Hör nicht auf.
Bitte, darf ich aufhören?
Mach weiter.
Ich denke, ich sollte jetzt besser gehen.
Mach weiter!
Da liegen Stifte, Koffer, Aktentaschen, Aktenschränke, Laken, Decken, Eimer, Sägen, Eisenpfähle, Gipsverbände, eine Karyatide ohne Kopf, Fliesen, Mäntel, Steine, Spiegel, das Bein einer Puppe.
Weiter! Weiter!
Da sind Bettgestelle, Kleider, Plastikschmuck, Telefone, Photos, eine Tafel, ein Dreirad, eine Hundehütte, ein Kamin, ein Snooker-Tisch, ein Laufgestell, Ich will aufhören.
Abgesehen von diesen Gegenständen, was siehst du noch?
Menschen laufen darauf herum. An manchen Stellen türmt sich der Müll haushoch.
Was tun diese Menschen?
Sammeln?
Nein, sie stöbern.
Was ist das hier, Anna?
Das ist der gesamte Müll der Stadt.
Nein, es ist kein Müll, nicht alles.
Beschreibe den Geruch.
Ich kann nicht.
Es riecht nach Verwesung, es riecht nach Fäulnis, es ist der Geruch von allem, was wir wegschmeißen. Es ist der Geruch von allem, was wir nicht mehr haben wollen.
Es ist so traurig.
Es ist der Geruch von sterbenden Dingen, Francis.
Dinge sterben nicht.
Hier vor unseren Augen werden all die toten Gegenstände, all die aussortierten Gegenstände von toten und lebenden Menschen aufbewahrt. Jene Sachen, die uns nichts mehr bedeuten. Eines Tages werden auch
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