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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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versuchte ich, in einem Geschäft etwas zu stehlen, nur um mir zu beweisen, dass ich immer noch der berüchtigte Seriendieb
    Francis Orme war. Eine n Laib Vollkornbrot. Ich wurde erwischt, der Ladenbesitzer lachte mich aus. Er sagte, das wäre der ungeschickteste Diebstahlversuch gewesen, den er je gesehen hätte. Er zeigte mich nicht an. Ich bezahlte das Brot. Wir waren damals kleine, winzige Mäusemenschen, die nach Gefahr schnupperten.
Claire Higg kommt zu Besuch
    Ungefähr ein, zwei Nächte nachdem Anna Besuch vom Pförtner erhalten hatte, entschied meine Mutter, dass wir alle zusammen in Wohnung 6 leben müssten. Sie holte zuerst Claire Higg in unsere Wohnung und ging dann noch einmal nach oben, um den Fernseher zu holen. Damals war Claire Higg nur noch zum Teil Claire Higg, den Rest von sich hatte sie irgendwo verloren, irgendwo verlegt. Sie schien nur noch ein halbes Gesicht und einen halben Körper zu haben, ihren Blick konnte sie nur noch auf den Fernsehbildschirm richten. Sie reagierte nervös, wenn jemand sprach, und begann sich zu kratzen, wenn Anna weinte. Gelegentlich wurde Anna jähzornig und zerschmetterte ein paar Gläser, warf Bücher von den Regalen herunter und spuckte auf den Boden. Und während dieser Anfälle kratzte sich Claire Higg, kaute auf ihren Haarspitzen und sah völlig ungeschützt aus, als wäre sie der letzte Mensch auf der Welt, der in einem unfruchtbaren Land auf einem einfachen Stuhl saß, an seinen Haaren kaute, sich kratzte und auf das schreckliche Etwas wartete, das zu ihr kommen und Buh! sagen würde. Wir alle warteten auf dieses schreckliche Etwas. Mutter beruhigte Anna dann immer. Wenn ich ihr jedoch helfen wollte, schob sie mich fort, Nicht anfassen, Francis. Geh weg. Geh schlafen.
    Anna schlief weiterhin in meinem Bett, Miss Higg schlief mit Mutter in ihrem Doppelbett, und ich schlief im größten Zimmer von Wohnung 6 auf einem Bett aus Kissen und gefalteten Daunendecken.
    Die ganze Welt war geschrumpft auf die Größe von Wohnung 6 des Observatoriums. Wenn ich sprach, wurde mir gesagt, ich solle den Fernseher nicht stören. Wenn ich Hilfe beim Kochen anbot, wurde mir gesagt, ich solle weggehen oder schlafen gehen oder beides. Wenn ich mich irgendwo hinsetzte, wurde mir gesagt, ich solle mich bewegen. Wenn ich irgendwo stand, wurde ich weggeschoben. Wenn die anderen sprachen, dann sprachen sie nicht mit mir. Sie sahen mich nicht einmal an.
    Man erlaubte mir, die Müllbeutel vor die Tür zu stellen. Die wurden jedoch nicht mehr abgeholt. Und fingen an, sich zu türmen.
Pylorusstenose
    Dann erwischte uns die Pylorusstenose. Es war nicht nur, dass sich fünfzehn oder mehr Müllbeutel vor der Tür von Wohnung 6 stapelten oder dass diese Müllbeutel zu stinken begonnen hatten. Es war nicht nur, dass ich eines Morgens, als ich zum Einkaufen nach unten ging, bemerkte, dass sämtliche Fenster im Erdgeschoss eingeschlagen worden waren. Es war nicht nur, dass die Fußböden nicht mehr gefegt wurden. Und es war nicht nur, dass das ganze Haus nach verfaulenden Lebensmitteln stank. Es war etwas anderes. Es war das Gefühl der Niederlage. Wir hörten auf, so zu tun, als bemerkten wir nicht, dass unser Zuhause und unsere Leben ruiniert waren. Wir saßen jammernd auf verschiedenen harten Stühlen und warteten darauf, dass die echten Schmerzen begannen.
    Seit Tagen schon hatte niemand mehr den Pförtner gesehen. Ich war der letzte, der ihn sah, als ich vom Einkaufen zurückkam. Während ich mit den Schlüsseln von Wohnung 6 herumhantierte, kam der Pförtner aus der leerstehenden Wohnung 8, wo er, glaube ich, auf mich gewartet hatte. Er riss mir die Einkaufstüten aus der Hand und warf sie die Treppe hinunter. Dann fing er an, auf mich einzutreten. Er zog mich an den Haaren. Er boxte mir in den Bauch und ließ mich verzweifelt nach Luft schnappend auf dem Boden liegen. Das war das letzte Mal, dass einer von uns Wohnung 6 verlassen hatte.
    Unter der schrecklichen Trägheit der Pylorusstenose versuchten wir, uns nicht mehr als unbedingt erforderlich zu bewegen, denn jede Bewegung bereitete uns jetzt Schmerzen. Es war schmerzhaft für uns und auch für unser Zuhause, jede zu schnelle Bewegung brachte uns womöglich zu Fall, ließ womöglich Etage auf Etage einstürzen. Wenn unser Zuhause schon sterben musste und wir fühlten, dass dies der Fall sein würde, wollten wir mit ihm sterben. Ein Leben ohne das Observatorium konnten wir uns nicht vorstellen.
    Eines Nachmittags schauten wir aus dem

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