Das verlorene Observatorium
Ich habe so lange gebraucht, dort wegzukommen. Die Kreidemalerin hat mich hergebracht.
Der Pförtner ist tot.
Niemand hat ihn gesehen.
Er ist tot. Die Ausstellung ist zerstört.
Ja, ich denke, das ging wohl nicht anders. Es tut mir leid, Francis.
Er wurde zerquetscht, und die Ausstellung haben sie auch zerquetscht.
Wo werden wir heute nacht schlafen?
All die Arbeit, für immer dahin.
Man wird uns wahrscheinlich etwas suchen. Bestimmt wird man das.
Anna, fünf Schritte entfernt, schien näher kommen zu wollen. Sie tastete sich vor, war mutig geworden durch die Ereignisse des Nachmittags. Sie streckte die Hände aus, suchte mich in der Luft, schlug mit den Händen gegen das Gitter der Kapelle, bis sie das offene Eingangstor fand, trat noch einen Schritt vor, und dann lagen ihre Finger auf dem Gegenstand, den ich in Händen hielt. Ihre Hände bewegten sich, sie tasteten den Schädel ab, die Zähne, ihre Finger glitten in die Augenhöhlen.
Francis!
Es ist in Ordnung.
Was ist das?
Es ist ein Exponat aus der Ausstellung. Ich lege ihn gerade zurück.
Was ist das?
Keiner von uns sagte ein Wort. Nachdem Anna wieder etwas ruhiger atmete, flüsterte sie:
Es ist ein Schädel.
Ich lege ihn zurück.
Du hast ihn gestohlen.
Aber ich lege ihn zurück.
Du hast einen Schädel gestohlen.
Er kommt jetzt wieder zurück. Ich lege ihn jetzt wieder zurück. Wessen Schädel ist das, Francis?
Es ist der Gegenstand, wegen dem Vater so außer sich war. Sie wollten ihn vergessen. Aber ich habe mich daran erinnert. Es ist mein Bruder.
Leg ihn zurück. Zurück in seinen Sarg.
Und hinein mit dem Schädel. Ich schloss den Deckel, löschte das Licht, schloss die Kapelle ab. Anna saß auf einer der vorderen Bänke, hätte sie Augen gehabt, dann hätte sie die heilige Lucia angesehen. Ich setzte mich neben sie.
Anna, mir sind die Handschuhe ausgegangen.
Als sie anfing, meine zerrissenen Handschuhe auszuziehen, hielt ich sie nicht davon ab. Als sie meine Hände auf ihr Gesicht legte, protestierte ich nicht. Haut auf Haut. Haut auf Haut.
VIII CITY HEIGHTS
Pförtner
Der Pförtner, dessen wirklicher Name nie bekannt wurde, starb beim Abbruch des Observatoriums, den er maßgeblich herbeigeführt hatte. Es hieß, spielende Kinder hätten in den Trümmern unseres einstigen Zuhauses einen Schrankkoffer aus Metall gefunden, der jenem ähnlich war, den man in der Kellerwohnung des Pförtners gesehen hatte und von dem man annahm, dass sich in ihm alles befand, was von seinem Leben übrig war, alle Beweise für seine Existenz, bevor er seine Arbeit im Observatorium begann. Der Schrankkoffer war bei der Explosion stark verbeult worden, eines der Vorhängeschlösser war abgerissen aber eines war noch dran. Die Kinder, so wurde mir berichtet, knackten das verbliebene Vorhängeschloss und als sie den Deckel des Schrankkoffers hoben, um einen Blick hineinzuwerfen, fanden sie nichts. Der Schrankkoffer war leer. Aber dies ist nur eine Vermutung. Ein Gerücht. Man kann es glauben oder auch nicht.
Claire Higg
Claire Higg ist ebenfalls tot. Sie starb am gleichen Tag wie der Pförtner, nur kurz vorher. Während der Vorbereitungen zur Sprengung des Observatoriums filmten Fernsehkameras die Menge, die kreischend darauf wartete, dass es endlich losging. Eine dieser Fernsehkameras wurde auf Miss Higg gerichtet. Das
Fernsehteam hatte Monitore aufgestellt, auf denen die Bilder der verschiedenen Kameras zu sehen waren. Diese Monitore standen ganz in Miss Higgs Nähe, und Miss Higg schaute glücklich auf die Bildschirme, fühlte sich wegen ihrer Gegenwart auch im Freien wohl. Als Miss Higg dann auf einen bestimmten Monitor schaute, bemerkte sie plötzlich auf dem Bildschirm die Gestalt einer Frau, die auf einen Fernsehmonitor starrte. Sie wusste, dass sie diese Frau einmal gekannt hatte, konnte sich nur nicht mehr so recht an sie erinnern. Sie betrachtete den Fernsehmonitor: Diese alte Frau hatte fettiges Haar, war dürr und blass und unübersehbar schmutzig. Wer könnte das wohl sein? Sie dachte nach und kratzte sich dabei am Kopf. Und während Claire Higg sich am Kopf kratzte, bemerkte sie, dass sich die alte Frau auf dem Fernsehmonitor ebenfalls am Kopf kratzte. Diese abstoßende alte Frau, die aussah, als hätte man sie jahrzehntelang in eine Schuhschachtel gesperrt. Claire fiel auf, als sie zuerst sich selbst und dann den Monitor ansah, dass die Frau sogar das gleiche Nachthemd trug. Sie bemerkte weiterhin, dass die alte Frau zufälligerweise exakt
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