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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Jahrhunderte von Grammatik. Zwischen Mittagessen und fünf Uhr nachmittags schwamm und versank ich, tauchte wieder auf und prustete in den unruhigen Wogen der Arithmetik, stets geleitet von den Blitzschlägen eines Mahagonilineals namens Chiron.
    Und jeden Abend, entsetzt und geduckt, wurde ich am linken Ohrläppchen in den Salon geschleift, wo sich mein Schulmeister gegenüber meiner Mutter schier endlos darüber ausließ, daß ich seines Unterrichts nicht würdig war. Ich mußte sagen, Liebe Mutter, es tut mir so leid, ich werde mir mehr Mühe geben. Und manchmal schickte mich mein Privatlehrer, zur Raserei gebracht durch meine Trägheit, mit zwanzig Blatt Papier hinaus, auf deren erster Seite ganz oben stand: Ich bin ein Idiot, schwach und undankbar x 1.000. Ich rannte dann in die Küche und verteilte Blätter an den Koch und die anderen Hausangestellten, jeder nahm sich ein Blatt. Meine unsichere und große Handschrift war leicht nachzumachen. Wir gestalteten die Strafarbeit so angenehm, wie es ging, tranken heißen Kakao und Pfefferminztee, während wir mit Bleistiften in Händen um den runden Eichentisch herumsaßen. Ich selbst war nicht auf diese Idee gekommen. Das war Vater. Er hatte es als Kind genauso gemacht. Manchmal beteiligte er sich an dem Schreibspiel; er willigte ein, ein Idiot zu werden, schwach und undankbar.
    Eines Tages waren wir alle mit unseren Bleistiften in der Küche beschäftigt, als wir eine ruhige Stimme hörten, bei der sich uns die Nackenhaare vor Entsetzen sträubten:
    Was geht hier vor sich?
    Es war Peter Bugg.
    Ich wurde ins Kinderzimmer gesperrt, wo ich einen Roman schreiben sollte, der aus einem einzigen, immer zu wiederholenden Satz bestand: Ich bin ein falsches, schlechtes und scheußliches Kind. Ich hatte bereits eine ausgiebige, wenn auch sehr einseitige Unterhaltung mit einem Stück Mahagoni hinter mir.
    Trotzdem lernte ich.
    Ich konnte lesen und schreiben.
    Ich machte Fortschritte.
Der Untergang von Peter Bugg
    Etwa sechs Monate nach Peter Buggs Ankunft, es war kurz vor Weihnachten, wurde entschieden, wiederum von meiner Mutter, daß ich eine Belohnung für meine Anstrengungen erhalten sollte. Auf die Frage, was ich denn gern hätte, antwortete ich sofort, daß ich noch einmal das Museum der Wachsmenschen sehen wollte. Bugg sollte mich begleiten, ein Taxi fuhr uns an den vereisten Feldern vorbei in die Stadt.
    Vor dem größten Spielwarengeschäft der Stadt ließ Bugg das Taxi halten und trotz meines Protestes bestand er darauf, dass wir zumindest einen Blick hineinwerfen sollten. Ich erinnere mich an seine Worte, Jedes Kind liebt Spielwarengeschäfte, ganz besonders zur Weihnachtszeit. An diesem Tag war es Bugg, der mit den Spielsachen spielte und ich übernahm die Rolle des Erwachsenen, der auf ihn aufpasste, während er verzückt kichernd Spielzeug um Spielzeug in die Hand nahm. Sieh dir das an und sieh dir das an und sieh dir das an. Ich erinnere mich, wie er sich vor meinen Augen verwandelte und dabei wirklich glücklich wirkte. All die Verbitterung war von seinem Gesicht gewichen und ich spürte, dass er sich zum ersten Mal seit Jahren richtig amüsierte. Er spielte mit Marionetten, schoß mit Spielzeugrevolvern, drückte auf Knöpfe, die bei kleinen elektronischen Spielen die Torpedos auslösten. Er knuddelte Teddybären, schoß mit Pfeil und Bogen und versuchte, einen Drachen steigen zu lassen. Er zog mich an der Hand von einem Gegenstand zum nächsten, strahlte übers ganze Gesicht und kreischte vor Aufregung. Sieh dir das an und sieh dir das an und sieh dir das an. Ich nahm an, meinem Privatlehrer müsse es nicht gutgehen, er hätte eine Art Anfall. Oder vielleicht war sein außergewöhnliches Verhalten auch nur ein Versuch, die Obsessionen von Kindern nachzuahmen, und schon sehr bald würde er zu mir sagen, Nein, Francis, so etwas darfst du niemals tun. Du mußt hart arbeiten, denn nichts als Leid und Kummer widerfährt den jungen Erwachsenen, die sich ihrer kindischen Seite hingeben, anstatt erwachsen zu werden und hart zu lernen. Diese Kinder werden zu Versagern, sie enden im Gefängnis.
    Aber Bugg spielte weiter. Er bestand nur noch aus Sieh dir das an und sieh dir das an und sieh dir das an. Er war wirklich und wahrhaftig glücklich. Das Spielwarengeschäft verließen wir erst, als ein Verkäufer ihm dringend davon abriet, auf ein Schaukelpferd zu steigen:
    Entschuldigen Sie bitte, Sir, aber ich glaube kaum, daß dieses Pferd für Personen Ihrer Größe

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