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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Fortschritts zwischen der Ausbildung meines Vaters und meiner eigenen wurden einfach ignoriert oder für unbedeutend erklärt und so wurde ich lange Zeit auf eine Welt vorbereitet, die es gar nicht mehr gab.
    Peter Bugg, mein neuer Lehrer, stank förmlich nach Geschichte; er schien überhaupt nichts Modernes an sich zu haben. Sein blasser Körper sah aus, als wäre er schon lange tot und seine Kleidung schien vor zwei oder drei Generationen für Menschen geschneidert worden zu sein, die auf Schwarzweißphotos gehörten. Bugg war ein kleiner Mann. Er hatte einen winzigen, wenig muskulösen Körper, an dessen vier Ecken streichholzartige Arme und Beine herausragten. Sein ordentlich gescheiteltes Haar war so schwarz, daß es die Blässe seiner Haut noch hervorhob. Er hatte einen riesigen Kopf, der aussah, als gehöre er jemand anderem. Ich glaubte, der Grund hierfür sei, dass er immerzu seinen Kopf trainierte, aber niemals seinen Körper. Ich erinnere mich noch, dass wir uns am ersten Tag, an dem ich seine schnarrende Stimme hörte, im großen Salon befanden:
    Hier haben wir also den kleinen Schüler. Steh jetzt gerade. Kinn hoch. Wir werden viel Zeit miteinander verbringen. Nicht mehr lange und deine Hände, deine dreckigen Finger werden Aufsätze abfeuern. Ich werde dich Junge nennen. Du wirst mich Sir nennen. Wenn du anderer Meinung bist, werde ich mein Lineal rufen und das wird dich zur Heulsuse machen. Geben wir uns jetzt die Hand. Das werden wir nicht mehr tun, bis ich meine Arbeit erledigt habe oder sie dich erledigt hat.
    Vater?
    Das ist Mr. Bugg, Francis. Er war mein Lehrer, jetzt wird er deiner sein. Er war jünger als ich, als er kam, um zu unterrichten. Ich war sein erwachsener Schüler, fast zehn Jahre älter als er. Für mich begann das Schuljahr erst dann, wenn Mr. Buggs Schule Ferien hatte. Mr. Bugg ist ein Intellektueller. Er ist der Verfasser einer Druckschrift mit dem Titel Die Vorzüge der Prügelstrafe in der Erziehung.
    Bloß eine Satire.
    Außerdem hat er 3633 verschiedene Bücher gelesen.
    Tatsächlich sind es inzwischen 6869. Ich habe tiefere Ozeane der Erkenntnis erforscht, seit du das letzte Mal Chiron gesehen hast.
    Chiron ist Mr. Buggs Lineal. Da ist er ja! Möchtest du Chiron kennenlernen, Junge?
    Chiron hat seinen ersten Auftritt. Chiron war ein langes, dickes, auf Hochglanz poliertes Mahagonistück. Ich nickte auf Mr. Buggs Frage und glaubte, dies sei höflich. Es war höflich. Und außerdem war es dumm.
    Strecke deine Hände aus, die Handflächen nach oben.
    Ich lernte Chiron kennen. Chiron brannte.
    Beim nächsten Mal sind es die Knöchel. Das ist Chiron.
    Vater!
    Lauf jetzt zum Mittagessen, Francis. Der Unterricht beginnt morgen. Genieße deine Freiheit.
    Punkt sieben Uhr.
Die Vorzüge der Prügelstrafe in der Erziehung
    Mein Vater wandte den Blick ab und ließ meine Erziehung beginnen. Er wußte (wie sehr brannte ihm die Erinnerung auf den Händen?), was mir bevorstand. Er hatte in den Nächten seines frühen Mannesalters gezittert bei dem Versuch, seinen Verstand zu schärfen. Er versuchte, Schritt zu halten, mit seinem Lehrer auf einer Höhe zu bleiben, fiel aber zurück, und Chiron wurde geschickt, um ihn zu holen. Er kämpfte sich durch einen Sturm aus Silben und geschriebenen Worten, die in seinen mit Tränen gefüllten Augen verschwammen. Er küßte seine Hände, als sie noch Stunden später zitterten, wenn der Unterricht für den Tag vorüber war, wenn er frei war, seine roten, geschwollenen Knöchel ihn jedoch nicht vergessen ließen. Er war beschimpft worden: Dummkopf, Einfaltspinsel, Blödian, Hornochse, Vollidiot, Ignorant, Faulpelz. Er kroch auf dem Boden des Kinderzimmers, biß in seiner Hysterie in die Tischbeine, verkroch sich in schwarze Löcher der Ablenkung und Verzweiflung. Er weinte, bis er sich erbrach, er konnte nicht mehr schlafen aus Angst, es würde wieder Tag werden, er riß sich die Haare aus und stöhnte in panischer Angst, wenn die Uhr siebenmal verhängnisvoll schlug. Und doch war Peter Bugg wieder hier, bereit, seinem unwissenden Sohn das Wissen einzubleuen.
    Ich schrieb meine zitternden ABCs, während Chiron drohend über mir schwebte und auf mich herabstürzte. Ich malte meine Unds, Wies und Weils auf das Schulpapier. Ich zog jeden Tag einen Rand auf meine Seite und schrieb langsam, mit pochenden Händen meine kläglichen Bleistiftstriche. Zwischen Frühstück und Mittagessen krallte ich mich auf der Achse meiner stumpfen Bleistiftspitze durch

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