Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
Norden auf unsere Weidegründe. Ich würde sie selbst angreifen, falls ich nur glaubte, unsere Zahl reichte aus, sie zu besiegen und ihr Land für unsere Clans zu halten.«
»Und hinter den Merki lauern die südlichen Horden«, stellte Qubata fest. »Wir haben nach Onci die Welt aufgeteilt. Es wäre töricht, einen erneuten Krieg zu beginnen, denn sicherlich würden die südlichen Clans reagieren.«
»Aber falls es doch zum Krieg kommt, brauche ich deine Genialität. Dein Schwertarm ist unwichtig für mich – dein Verstand ist es, den ich so schätze, mein alter Freund.«
Muzta legte dem allmählich grau werdenden Krieger beide Hände auf die Schultern und schüttelte ihn voller Zuneigung.
»Kehren wir zum Festmahl zurück«, sagte Muzta; beide waren sie leicht verlegen über die offene Bekundung der Liebe, die sie füreinander empfanden.
»Nicht die Merki sind es, die mir derzeit Sorgen bereiten«, sagte Qubata, während sie zu ihren Pferden gingen.
»Bekümmert dich das Yankeevieh so sehr?«
»Mit ihren Donnermachern können sie genauso töten wie die Merki mit ihren Pfeilen. Es war dumm von Tulas Neffen, einen Krieger zu opfern, nur um zu sehen, wie weit ihre Waffen tragen. Das könnte sämtliche Rus auf die falschen Gedanken bringen.«
»Aber ob sie sich gegen unsere ganze Horde stellen? Sie wären wahnsinnig!«, erwiderte Muzta.
»Wir haben lieber vergessen, mein Qarth, dass das Vieh auch Gefühle hat, vielleicht sogar ebenso starke wie wir. Unsere Vorväter haben gut geplant mit dem Gesetz, dass nur zwei von zehn geerntet werden sollten, da sich alle an die Hoffnung klammern würden, nicht ausgewählt zu werden. Dass wir Zuchtmaterial verschonen, die Schwachen, Missgestalteten und Alten ausmerzen und nur Spitzenstücke für die Mondfeste heranziehen, das zeugte von großer Weisheit.
Aber das Vieh ist verzweifelt aufgrund der Pocken, und diese Yankees stören womöglich die altehrwürdigen Gesetze, die die Ordnung bei den Rus aufrechterhalten haben, ja bei allem Vieh überall auf der Welt. Der eine wie der andere Faktor könnte große Gefahren heraufbeschwören.
Das einzig Kluge, was Vulti getan hat, war zu befehlen, dass die Herrscher der Rus die Yankees sofort vernichten. Hoffen wir, dass dies geschehen ist, denn sie klangen trotzig und sind vielleicht verzweifelt, und derlei Dinge machen Vieh gefährlich.«
Muzta dachte an den Vorfall vom Abend zuvor in der Stadt zurück. Vielleicht war Qubata übertrieben vorsichtig. Allerdings konnte man nur wenig machen, dachte er, solange die Horde nicht bei den Rus eingetroffen war. Falls jetzt etwas die Sorge lohnte, dann waren das nach wie vor diese seltsamen Pocken. Muzta blieb nur die Hoffnung, dass die Krankheit nicht den Schmaus des nächsten Winters schon vorher vernichtete.
»Mein Qarth, wir müssen auch bedenken, dass sich vielleicht sämtliches Vieh auf der ganzen Welt infiziert oder dass sich die Denkungsart dieser Yankees ausbreitet und uns dabei vorauseilt«, setzte Qubata ruhig hinzu.
Muzta sah den Freund an. So oft sprach dieser seine, Muztas, Gedanken nur einen Augenblick später aus, als bestünde zuzeiten eine seltsame Verbindung zwischen ihren Köpfen.
»Dann sterben wir«, erklärte Muzta niedergeschlagen.
»Mein Fürst, wir müssen zu denken lernen!«, erwiderte Qubata scharf. »Vor der Ankunft des Viehs lebten wir, indem wir uns selbst Nahrung sammelten und auf die Jagd gingen. Heute sind wir vom Vieh als unserer zentralen Nahrungsquelle abhängig; nie hätten wir auch nur im Traum erwartet, dass es krank oder aufsässig werden könnte. Aber das Vieh hat uns die Pferde gebracht, und notfalls müssen wir ihm auch seine Huftiere wegnehmen, sie auf unserem Marsch mittreiben und züchten, damit sie eines Tages das Fleisch des Viehs ersetzen können.«
»Aber das reicht kaum für das Vieh selbst. Nur die Adligen essen solche Dinge, und wir nehmen den Rest.«
»Dann wird es Zeit, dass wir lernen, solches Fleisch selbst zu züchten«, sagte Qubata.
»Hältst du die Lage für so schlimm?«, fragte Muzta leise.
»Ich halte sie für schlimm genug«, antwortete Qubata scharf, »dass ich denke, wir sollten lernen, sogar unsere Pferde zu essen.«
»Niemals!«, brüllte Muzta. »Wir haben kaum genug zum Reiten und für die Wagen der Familien. Möchtest du, dass wir die Welt wieder zu Fuß umwandern? Lieber sterben wir! Das Pferd steht über dem Vieh; es ist falsch, vom eigenen Ross zu essen, selbst wenn es alt ist und uns nicht mehr dienen
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