Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
setzte sich danach tagelang fort, bis das Lager auf den Feldern über dem Damm errichtet war und sich die Stadt der Frauen und Kinder bis zum Horizont ausdehnte. In ihrer Begleitung trafen zusätzliche Krieger ein, deren Zahl in die Zehntausende ging, um die Belagerungslinien noch zu verstärken.
Weiter den Hang hinauf ritt Andrew an mehreren Fellzelten vorbei, die gut dreißig Meter durchmaßen, aber ihrerseits neben dem zentralen Zelt zwergenhaft erschienen. Durchs Fernglas hatte er dieses oft in Augenschein genommen, aber jetzt, wo er es direkt immer deutlicher vor sich sah, raubte ihm die Pracht den Atem. Im Gegensatz zu dem schlichten Filz der Kriegerunterkünfte schien dieses Zelt mit goldenem Stoff bespannt und ähnelte somit einer großen Kuppel, die mattrot im Sonnenlicht glänzte.
Der Eingang war mit großen Vorhängen aus silberdurchwirktem Samt verhangen, und das Vordach ruhte auf kunstvoll verzierten Stangen, die mit seltenen und kostbaren Steinen besetzt waren.
Der Sendbote zügelte das Pferd, stieg ab und gab Andrew mit einem Wink zu verstehen, seinem Beispiel zu folgen. Als der Colonel von Mercury stieg, trieb der Wind einen schwachen Geruch heran, und als er neben das große Zelt blickte, sah er eine dünne Rauchfahne aus einer Grube aufsteigen. Wie es schien, war die Erde rings um die Grube frisch geharkt und gesäubert worden, aber das konnte nicht verhehlen, was sie darstellte.
Der Sendbote folgte seinem Blick und sah dann Andrew an, und er verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns.
Kalten Hass in den Augen, starrte Andrew den Sendboten an, nicht ohne Verachtung jedoch.
»Wir haben vor deiner Ankunft die Spuren des abendlichen Festschmauses von gestern beseitigt«, erklärte der Sendbote lächelnd. »Wir wollten dich nicht erschrecken.«
»Und sobald dieser Krieg beendet ist«, sagte Andrew langsam, »sorge ich persönlich dafür, dass dein Kadaver in der Erde verscharrt wird.«
Der Sendbote sagte darauf nichts, aber einen kurzen Augenblick lang hatte es den Anschein, als würde er die Beherrschung verlieren. Dann wandte er sich ab und forderte Andrew mit einem Wink auf, das große Zelt zu betreten.
Allein betrat Andrew die Unterkunft, und die weiche Dunkelheit des Innenraums war nach dem grellen Sonnenlicht eine Erleichterung. Andrew blieb kurz stehen, damit seine Augen sich anpassen konnten, sah sich um und bemühte sich, seine Angst nicht zu zeigen. Falls sie mich umbringen wollten, überlegte er, hätten sie es inzwischen getan; oder sparen sie mich für etwas viel Schlimmeres auf? Bei diesem Gedanken raste sein Herz unvermittelt los.
»Du mit dem Namen Keane, tritt vor in meine Gegenwart.«
Inzwischen erblickte er im Dunkeln mehrere Schattengestalten, die vor einem sanft glühenden Kohlenbecken im Zentrum des Zelts saßen. Andrew holte tief Luft und kam näher. Nur drei Tugaren hielten sich in der geräumigen Unterkunft auf, und in diesem gewaltigen, weitgehend leeren Raum fühlte er sich umso kleiner und verletzlicher.
Ich würde versuchen, die gleiche Wirkung zu erzielen, sagte er sich insgeheim. Das gehört alles zum Spiel innerhalb des Spiels: täuschen, einschüchtern und lernen. Diese Einsicht beruhigte seine Ängste, und als er knappe vier Meter vor den drei Tugaren stehen blieb, schlug sein Herz wieder ruhig.
Die Gestalt zur Rechten glaubte er schon einmal gesehen zu haben, und dann erinnerte er sich, dass er es mit dem Künder der Zeit zu tun hatte. Der Tugare links wirkte alt; die langen zottigen Fellhaare waren fast gänzlich grau, durchzogen von breiten weißen Streifen.
Andrew erkannte in ihm sofort den tugarischen Krieger wieder, den er schon auf dem Pass gesehen hatte und der fast täglich einen Inspektionsritt entlang der Belagerungslinien absolvierte.
Andrew nickte ihm kurz zu, und zu seiner Überraschung erwiderte der Tugare diese Geste.
Der Alte musterte ihn mit unverhohlener Neugier, was einen Kontrast bildete zum Gefühl der Vorsicht, das von dem kräftigen, riesigen Tugaren in der Mitte ausging.
»Er ist es«, sagte der Künder zu Muzta, der reglos dasaß und keinerlei Emotion verriet.
»Es entspricht der Tradition«, fuhr der Künder auf Russisch fort und wandte sich wieder Andrew zu, »dass sich Vieh vor Muzta Qar Qarth und vor dem gesamten tugarischen Volk niederwirft, wenn es herbeigerufen wurde.«
»Ich erinnere mich an dich«, sagte Andrew ruhig. »Und du wirst dich erinnern, dass ich mich damals nicht niedergeworfen habe und es auch jetzt
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