Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
sie diese Zone endlich hinter sich ließen, galoppierten sie hundert Meter weit und erreichten damit die tugarischen Linien.
Die Belagerer hatten eine starke Position, die in vieler Hinsicht Andrews eigene Befestigungen imitierte, wie ihm sofort auffiel: Sie hatten Erdwälle aufgeschichtet und die Stellungen der stein- und speerschleudernden Katapulte durch schwere Holzbarrikaden gesichert, um sie vor dem Artilleriefeuer zu schützen.
Auf dem Weg durch eine Ausfallluke empfand Andrew einen Augenblick lang kalte Angst.
Den Weg voraus säumten auf beiden Seiten Hunderte Tugaren in voller Gefechtspanzerung. Obwohl er selbst auf einem Pferd saß, überragten ihn die meisten der steif bereitstehenden Krieger.
Die scharfkantigen Helme bedeckten die kompletten Gesichter und ließen nur die Augen frei, die ihn mit Hass und Verachtung musterten. Die Kriegsbögen waren gespannt, und jeder Krieger trug zwei Köcher voller Pfeile von ein Meter zwanzig Länge. Von den Schultern bis auf die Knie herab hingen schwere Kettenhemden, und an den Gürteln baumelten schwere Äxte oder Schwerter.
Solche Krieger hatte er in den Schlachten auf der Flussstraße nicht gesehen – es musste sich um schwere Stoßtruppen für Aufgaben handeln, wie er sie den Tugaren hier stellte. Die Helme hatte er schon gesehen, hatte sie durch den Feldstecher erblickt, während Tag für Tag die Scharfschützen ihr Werk verrichteten und viele umbrachten, ohne damit viel mehr zu erreichen als Elend auf beiden Seiten.
Am Ende der Reihe angekommen, entdeckte er wie betäubt ein eigenständiges Kontingent Tugaren, die Musketen trugen. Beute aus der letzten Schlacht, wurde ihm klar. Wahrscheinlich hatten sie nur eine Hand voll Kugeln für jede dieser Waffen, aber es war trotzdem beunruhigend.
Der Sendbote und Andrew ritten weiter, und Andrew hatte das Gefühl, dass der Hauptgrund für diese Verhandlungen wohl in nichts anderem bestand, als ihn mit der Stärke der Tugaren zu beeindrucken. Eine Einheit nach der anderen war entlang der Straße aufmarschiert -Bogenschützen zu Fuß, Bogenschützen zu Pferd, schwere Lanzenträger und schließlich eine Reihe Doppeltorsionskatapulte, neben denen drei Meter lange Speere wie Klafterholz aufgestapelt lagen.
Dann erblickte er etwas, was er nicht einfach übersehen konnte.
Hinter einer Kurve sah er eine lange Reihe von Menschenkriegern mit grimmigen Gesichtern stehen. Näher an dieser Einheit, zügelte Andrew sein Pferd vor Mikhail, der ihn mit offenem Hass musterte.
Das Gesicht des Mannes war von tiefen Narben zerfurcht; also hatten ihn die Blattern erwischt, erkannte Andrew. Die Geschichten, die noch vor der Schlacht aus Wasima herausgesickert waren, hatten ihn ohnehin schon mit Grauen erfüllt. Fast ein Drittel der Bevölkerung war gestorben und ein weiteres Drittel geschwächt und stark entstellt. Natürlich gab der Prälat Igor der Kirche von Suzdal die Schuld.
Emil hatte wiederholt Boten geschickt und über sie darum gefleht, die Seuche aufhalten zu dürfen, aber Igor lehnte das ab und brachte sich damit selbst schließlich in ein Massengrab.
Als Andrew näher kam, beugte sich Mikhail vor und spuckte auf den Boden. Mehrere Tugaren, die dem Colonel als Eskorte folgten, ritten nun vor und bezogen Stellung zwischen den beiden.
»Bringen wir es hier und jetzt zu Ende!«, knurrte Mikhail. »Schwert gegen Schwert.«
Andrew betrachtete den pockennarbigen Mann, ohne etwas zu sagen.
»Ihr habt das über uns gebracht!«
»Ihr hättet mit uns gegen den gemeinsamen Feind kämpfen können«, entgegnete Andrew gelassen.
»Um zu sterben, wie ihr Narren alle sterben werdet?«
»Um notfalls wie Menschen zu sterben!«, schnauzte Andrew. »Das ist mir immer noch lieber, als wie ein Sklave vor den Tugaren zu kriechen.«
Mikhails Hand fuhr zum Schwertgriff. Der Tugare, der ihm am nächsten war, bellte eine Warnung und riss dabei das eigene Schwert aus der Scheide.
Mikhail blieb eine ganze Weile reglos und senkte dann langsam die Hand. Andrew empfand fast Mitleid mit diesem Mann für die Schande, die er gerade vor seinen Männern erlitten hatte, gab jedoch seinem Pferd die Fersen und ritt weiter.
Außer Reichweite der Feldgeschütze von Suzdal lag die riesige Zeltstadt der Tugarenkrieger vor ihm. Jedes Zelt ähnelte einer umgedrehten Schüssel von sechs Metern Durchmesser und drei Metern Scheitelhöhe.
Vorige Woche war das erste der auf Rädern montierten Zelte die Flussstraße heruntergekommen. Die seltsame Prozession
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