Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
erleichtert. Aus irgendeinem Grund machte ihm der Colonel keine Angst mehr – in vielerlei Hinsicht betrachtete er seinen einarmigen Kommandeur wie einen Vater –, aber Schuder ähnelte mehr dem alten Schulmeister von Oak Grove, jederzeit bereit, mit alttestamentarischem Zorn auf die leiseste Provokation zu reagieren.
Im Augenwinkel sah Vincent, wie Keane näher kam; Dr. Weiss ritt an seiner Seite, und Major O’Donald und Kal gingen voraus.
Keane lenkte sein Pferd vor die Kompanie und blickte über die Linien hinweg.
»Also dann, Jungs«, sagte er leise, als würde er sich an eine Gruppe von Freunden wenden, die sich zu einem Nachmittagsausflug aufmachten.
»Unser Kal hier …« Und er deutete auf den Bauern, der neben ihm stand. »… hat angedeutet, wir könnten ein freundschaftliches Abkommen mit diesen Menschen schließen. Ich vertraue darauf, dass Sie alle Ihre Pflicht tun. Ich möchte, dass diese Menschen da draußen sehen, was für eine Art Soldaten wir sind. Ein einziger Fehler könnte jedoch ausreichen, damit es schlecht für uns ausgeht. Ich erwarte, dass die Gespräche glatt verlaufen, und dabei ist wichtig, dass wir auch nicht die leiseste Spur von Furcht zeigen. Also treten Sie als Soldaten auf und verhalten sich entsprechend, egal was Sie zu sehen bekommen. Sollten sich die Dinge unglücklich entwickeln, haben Sie nur auf meinen Befehl oder den Sergeant Schuders hin zu schießen. Noch Fragen?«
»Colonel, wo zum Teufel befinden wir uns eigentlich?« Vincent erkannte schon am trotzigen Tonfall, dass es sich bei dem Fragesteller um Hinsen handelte.
Keane lenkte das Pferd direkt vor Hinsen. Mit kalter Miene blickte er auf den Soldaten hinab.
»Das ist genau das, was wir in Erfahrung bringen werden, Private«, sagte er scharf. »Überlassen Sie es mir, darüber nachzudenken. Sie sind neu im Regiment, Private, also lasse ich es Ihnen dieses Mal durchgehen. Aber die Veteranen unter Ihnen wissen, dass das 35. noch immer mit allem fertig geworden ist, egal was man uns entgegenwarf.
Noch irgendwelche Fragen?«
Die Männer schwiegen.
»Also in Ordnung. Major O’Donald führt bis zu meiner Rückkehr das Kommando.« Bei diesen Worten blickte er zu Captain Cromwell und seiner Mannschaft hinüber. Vincent spürte sofort, dass da ein Konflikt im Anzug war, wenn er sah, mit welcher Miene sich die beiden Männer anblickten.
»Sergeant Major Schuder, setzen Sie die Männer in Marsch.«
Hans schritt an der Reihe entlang, wobei er einen kalten Blick auf Hinsen erübrigte, und bezog Position an der Spitze.
»Die Flaggen entrollen!«, schrie er in bestem Exerzierplatzton.
Die Stangen wurden kurz gesenkt und dann wieder aufgerichtet und zeigten nun die von Schüssen zerfetzte Nationalstandarte und daneben die dunkelblaue Flagge von Maine, die im Morgenwind knatterte und sich im rötlichen Licht der Sonne fast ins Lavendel verfärbte.
»Kompanie, rechts um! Vorwärts marsch!«
Wie ein Mann drehten sich die hundert Soldaten und nahmen Kurs auf die Ausfallluke. Andrew galoppierte an der Reihe entlang, um die Führung zu übernehmen, während ein einzelner Munitionswagen und ein Feldgeschütz am Ende der Kolonne einfielen.
»Sergeant Dunlevy, falls es Ärger gibt«, brüllte O’Donald, »dann geben Sie ihnen eine Doppelkartätsche zu schnuppern!« Und die Artilleristen schrien lautstark, als sie an ihrem Kommandeur vorbeizogen.
Die winzige Kolonne zog durch die Ausfallluke und über eine Holzbrücke, die über den Burggraben dahinter führte.
Vincent betrachtete nervös das offene Gelände vor ihnen. Tausende Bauern standen auf den fernen Hügeln, während mehrere hundert Reiter zu beiden Seiten ausfächerten. Schuder hatte den Männern bereits erklärt, dass sie, falls es Ärger gab, einfach eine Quadratformation bilden und sich den Weg zurück freikämpfen würden. Aber sie waren nur hundert Mann stark und verfügten nur über ein einziges Feldgeschütz, während ihr möglicher Gegner in die Tausende ging. Er wusste, dass der Colonel irgendwie eine Schau der Tapferkeit abzog, aber diese Vorstellung linderte Vincents Nervosität nicht im Mindesten.
»Musiker, spielen Sie auf! Marching Through Georgia!«
Der einsame Trommler schlug eine Verzierung, und der Pfeifer leitete die Melodie ein.
»In Ordnung, Männer, singt verdammt noch mal!«, schrie Hans. »So laut ihr könnt!«
»Stoßt ins alte Horn, Jungs, wir singen ein neues Lied.«
Vincent fiel in den Rhythmus der Melodie, ein neues Lieblingsstück
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