Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
Dienstboten rammte ihm eine tief angesetzte, improvisierte Pike in den Leib und stieß ihn zurück über die Mauerkante.
»Sie sind auf dem Dach!«
Vincent drehte sich um und blickte zum Loch in der Decke hinauf. Ein Cartha stand dort und zielte mit der Muskete auf seine Brust. Vincent hatte das Gefühl, dass sich dieser Augenblick in die Ewigkeit dehnte und nun schließlich die Abrechnung für alle seine Sünden anstand. Der Hammer der Muskete schlug zu, erzeugte aber nur einen Funkenregen und nichts weiter. Vincent stand einfach zitternd da und blickte zu dem Mann hinauf, der keine sieben Meter von ihm entfernt war.
Zu seiner vollkommenen Verblüffung senkte der Cartha die Waffe und betrachtete die offene, jetzt dem Nebel und Nieselregen preisgegebene Pulverpfanne. Ein seltsames Lächeln lief über sein Gesicht, und er hob die Hand, winkte, als wollte er um Entschuldigung bitten, weil er Vincent gerade zu erschießen versucht hatte, und duckte sich dann außer Sichtweite.
Ringsherum waren die Männer auf dem Rückzug, liefen zur Tür, die in das angrenzende Zimmer führte. Marcus achtete nicht der Gefahren von oben und hinten; er hatte schon nachgeladen, und als der nächste Gegner in der Wandlücke auftauchte, schoss er ihn aus unmittelbarer Nähe nieder; die Haare des Mannes schlugen Flammen unter der heißen Entladung der Muskete.
»Weg hier!«, brüllte Vincent und packte Marcus an der Schulter. Marcus drehte sich um und sah ihn an, als hätte er ihn gerade bei einem Freizeitvergnügen gestört.
»Über uns!«, brüllte Vincent und blickte hinauf, wo gerade der nächste Cartha seine Waffe anlegte. Vincent warf die eigene Muskete weg, zog den Revolver und ballerte wie verrückt los, sodass der Mann in Deckung zurückwich.
»Gehen wir 1«
Gemeinsam liefen sie zur Tür, wo die Männer schon die nächste Verteidigungslinie organisierten. In ihrem vorübergehenden Schutz ging Vincent zur hinteren Wand, die an den Hof grenzte.
»Mein Gott, sie sind schon im Hof!«
Unter ihm breitete sich eine Szene aus verrücktem Durcheinander aus; im wogenden Qualm, im zischenden Dampf und dem anhaltenden leichten Regen war kaum etwas zu erkennen. Kämpfe Mann gegen Mann tobten inmitten des Schutts; die Kämpfer stießen mit Bajonetten nach einander, rangen ihre Gegner zu Boden, packten Bruchstücke polierten Marmors, hämmerten damit auf die schreienden Widersacher ein. Messer leuchteten im Feuerschein, stießen in menschliches Fleisch. Kurz erblickte er Dimitri mit der Regimentsflagge an seiner Seite, wie er den zerbrochenen Schaft einer Muskete als Knüppel schwang, damit verzweifelt um sich schlug und zwei Carthas auf Distanz hielt, die ihre Bajonette tief zum Stoß angesetzt hielten und auf eine Öffnung in seiner Abwehr lauerten.
Vincent glaubte, einen Einblick in die unteren Ebenen der Hölle zu erhalten.
Eine Kugel klatschte neben ihm in die Wand und bespritzte sein Gesicht mit Splittern, und alles wurde rot. Keuchend taumelte er zurück, hatte Angst davor, die Augen zu öffnen. Hände packten seine, zwangen sie von den Augen weg.
Matt konnte er Marcus erkennen, der ihn ansah.
»Können Sie mich sehen, mein Sohn?« Trotz seiner Schmerzen hörte er zum ersten Mal die Wärme aus der Stimme des kalten stoischen Konsuls heraus, dessen Herz er so angestrengt zu erreichen versucht hatte. Der Mann betrachtete ihn erschrocken.
Vincent suchte in der Hosentasche nach dem schweißnassen Taschentuch. Als er sich das Blut aus den Augen wischte, fühlte es sich an, als wäre das Gesicht in Feuer gebadet worden.
Marcus nahm ihm das Taschentuch aus der Hand, wischte ihm sachte das Gesicht ab und schüttelte dabei den Kopf.
»Hiernach werden Sie einem Dämon aus der Unterwelt ähneln«, sagte er. »Sie werden Ihre Kinder zu Tode erschrecken, wenn Sie wieder nach Hause kommen.«
»Nach Hause?« Vincent lachte los und blickte wieder zu dem Irrsinn im Hof hinunter, während sich die Carthas nach und nach einen Weg in den Palast bahnten.
»Und falls Hulagar es herausfindet?«
»Komm mir nicht mit Hulagar!«, lachte Vuka. »Ich möchte mir den Spaß einfach ansehen. Ich hatte noch nie das Vergnügen zuzusehen, wie Vieh anderes Vieh niedermetzelt.«
Tamuka, Vukas Schildträger, sah sich nervös um. Diese neuen Rauchtöter des Viehs beunruhigten ihn. Vieh war ohne Zähne, wurde gemästet, für die Schlachtung fett gefüttert. Ihm gefiel nicht, wozu diese Kreaturen jetzt imstande waren. Obwohl die Tugaren unrein waren,
Weitere Kostenlose Bücher