Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
gegenüber war eingestürzt, umzüngelt von hungrigen Flammen.
»Sie haben Karren voller Stroh an der Wand entlang aufgefahren!«, rief ihm ein Kompaniebefehlshaber zu. »Wir können verdammt noch mal nichts sehen!«
»Marcus?«
»Im angrenzenden Zimmer.«
Vincent lief durch die Tür.
»Marcus!«
»Hier drüben.«
Vincent kroch über den Boden, um besser durch den Rauch blicken zu können, und erreichte die verwüstete Wand, wo Marcus hockte und eine Muskete für den suzdalischen Schützen neben ihm nachlud.
»Wir bilden ein formidables Team«, sagte Marcus und sah dabei den Soldaten an.
Der Schütze drehte sich zu Vincent um und nickte. »Weiß nicht, was zum Teufel er da sagt, Sir, aber er kannse so schnell nachladen, wie ichse abschieße.«
Der Schütze wandte sich wieder um und hielt aufs Neue Ausschau nach Zielen.
»Wie steht es um uns?«, wollte Marcus wissen.
»Nicht gut. Sie haben die Front im Erdgeschoss eingenommen und auch die angrenzenden Zimmer.«
»Na ja, Sie hatten ohnehin nicht erwartet, sie unbegrenzt abwehren zu können. Falls sie jetzt in den Hof stürmen, metzeln wir sie nieder.«
»Aber diese gottverdammten Kanonen schießen uns in Fetzen! Der Beschuss gilt jetzt der Ostflanke des Palastes. Nebenbei: Sie können sich liebevoll von Ihrer Bibliothek verabschieden.«
»Zur Hölle mit ihnen«, seufzte Marcus. »Ich werde meinen Xenophon vermissen. Es war meine einzige Ausgabe.«
»Sie hatten Xenophons Werke?«
»Meine Ausgabe geht auf die Ursprungswelt zurück, eine Originalausgabe in einer Bronzekiste. Ein unbezahlbares Erbstück. Na ja, das ist wohl der Preis des Krieges, vermute ich«, sagte Marcus traurig.
»Gott verdamme das alles in die Hölle!«, schrie Vincent, der über den Verlust des unbezahlbaren Werkes fast so wütend war wie über all die Toten und Verletzten dieser bitteren Schlacht, die jetzt mehr als anderthalb Tage andauerte. Ihn erstaunte, wie viel der Palast einstecken konnte: er war eine Festung aus eigenem Recht. Ohne ihn wäre seine ramponierte Truppe längst überrannt worden.
»So viel zu den Sklaven«, sagte Marcus sarkastisch. »Bislang habe ich keinen von ihnen zu Gesicht bekommen.«
»Na ja, Sie haben ihnen auch nicht die Zeit gegönnt, etwas zu unternehmen«, wandte Vincent ein. »Die Carthas waren schon in der Stadt.«
»Sind Julius und die anderen hinausgelangt?«
»Er ist in der Nacht zur Hintertür hinaus und nutzte dabei die Deckung durch den Qualm. Er hat versprochen, mal zu sehen, was er ausrichten kann. Eine Menge Dienstboten haben jedoch freiwillig angeboten zu bleiben, und ich habe ihnen Arbeiten zugewiesen.«
»Erstaunlich«, fand Marcus gelassen. »Die Loyalität eines Sklaven ist eine seltsame Sache.«
»Es sind freie Männer und Frauen!«, entgegnete Vincent scharf.
Marcus sah ihn an und lächelte. »Na ja, es sieht danach aus, als würde Ihr Wunsch, alle Welt zu befreien, Ihnen heute das Leben kosten.«
Ein verzweifelter Schrei ertönte draußen auf dem Platz. Der Scharfschütze neben Marcus richtete sich auf und legte an. Als er den Abzug drückte, kippte er nach hinten, und ein Sprühregen Kartätschen peitschte durch die Luft. Entsetzt betrachtete Vincent, was vom Kopf des Mannes übrig war, während der Körper noch strampelte und um sich schlug, als wollte er nicht zugeben, dass er schon tot war.
»Zur Hölle mit ihnen allen!«, knurrte Marcus. Er spannte eine Muskete und blickte über die Mauer. Vincent krabbelte zu dem sterbenden Schützen hinüber, nahm ihm die Muskete aus der Hand, rappelte sich auf und gesellte sich zu Marcus.
Der Platz unten verschwand förmlich unter einer Welle anstürmender Kämpfer, die den Durchgang zum Hof missachteten und stattdessen Nord-und Südflügel angriffen. Leitern wurden aufgerichtet, und Männer kletterten hinauf.
Vincent beugte sich vor und zielte mit der Muskete direkt in das Gesicht eines emporsteigenden Carthas, der mit verzweifelten Augen voller Entsetzen zu ihm aufblickte. Vincent drückte ab. Der Mann purzelte rückwärts und riss die Leiter mit. Marcus schoss eine Sekunde später und streckte einen Mann nieder, der die Muskete angelegt hatte und das Feuer erwidern wollte.
Die restlichen Suzdalier im Zimmer jagten einen Kugelhagel hinaus, aber die Carthas stürmten weiter an, legten erneut Leitern an und kletterten hinauf, als die Verteidiger das Feuer unterbrachen und nachluden. Der erste Mann erreichte das obere Ende der Leiter und sprang in die Bresche. Einer von Markus’
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