Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
zögern, warf er sich nach vorn. Muzta, das Schwert noch in der Hand, sah zu und verbarg seine Bewunderung, während der Merki weiter nach vorn glitt und die blutige Schwertspitze dabei den Rücken der Lederrüstung durchbohrte.
Kein Schrei entfloh seinen Lippen, während die Klinge immer weiter durch ihn glitt. Krampfhaftes Beben schüttelte ihn, als ihm ein Schwall blutigen Schaums über die Lippen trat. Ganz langsam begannen die Knie zu zittern, während die Klinge ihren Weg fortsetzte. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel die Leiche auf den Griffschutz. Der Krieger war tot, ehe sein schmerzverzerrtes Gesicht den Boden berührte.
Ohne einen Blick auf die noch zitternde Leiche zu richten, ritt Jubadi daran vorbei und zügelte das Pferd neben Muzta.
»Die Kränkung wurde vergolten«, sagte Jubadi gelassen.
Muzta betrachtete einen Mann, dem er einst auf dem Schlachtfeld auf gleicher Augenhöhe gegenübergestanden hatte und vor dem er jetzt als Bettler stand.
Wortlos beugte sich Muzta vor und steckte die Schwertspitze in die Blutlache, die unter Nartans Leiche hervorlief. Dann fuhr er sich mit der Flachseite der Klinge über die Pferdehautstiefel und steckte das Schwert in die Scheide zurück.
»Obwohl es bereits gesagt wurde«, verkündete Jubadi mit hoher klarer Stimme, »bitte ich dich, Muzta Qar Qarth von der Tugarenhorde, meinen Bluteid anzunehmen, während du in meinem Zelt ruhst. Innerhalb des grenzenlosen Reiches der Merkihorde wird dir kein Leid widerfahren.«
»Ich komme nicht in tödlicher Absicht zu dir oder deinem Volk, solange ich im Schutz deines Eids wandle«, gab Muzta kund, obwohl er sich innerlich sträubte, als Jubadi das Merkireich mit dem Begriff »grenzenlos« belegte.
Heute erblickte er zum ersten Mal diesen Anführer, dem er bis vor anderthalb Jahren an Macht gleichgekommen war. Jubadi war kleiner als er, aber er sah auf den ersten Blick, dass ihn Jubadi im Kampf Mann gegen Mann durchaus schlagen konnte, so starke Arme hatte er. Jubadi verströmte eine scharfe Männlichkeit, eine verhaltene Kraft, die Muzta beunruhigte. Muzta wusste, dass ihn die Erfahrungen des zurückliegenden Jahres ohne Maßen verändert hatten; dazu Brauchte er nur von Jubadis starken Armen auf seine eigenen zu blicken, die jetzt mit ergrauenden Haaren bedeckt waren. Er richtete den Blick wieder in Jubadis Augen und spürte einen Hauch von Spott, als könnte sein Rivale ihn nicht allzu ernst nehmen.
Soll er ruhig so denken!, fluchte Muzta in Gedanken. Wäre er auf mein Kommando hin zu mir gekommen, würde ich ebenso empfinden. Und als Muzta dies klar wurde, empfand er zum ersten Mal wieder Ruhe, erblickte er die Andeutung eines Potenzials, obschon es sich in seiner Vorstellung noch nicht ganz ausgeformt hatte.
Jubadi erwiderte Muztas Blick kommentarlos. Das ist also der Trottel, dachte er bei sich. Wie einer aus dem Erwählten Volk nur hatte hinnehmen können, dass er einer solchen Katastrophe zum Opfer fiel, ging über seine Begriffe. Einen ganz kurzen Augenblick lang wünschte er, er könnte Muzta für alles Geschehene ins Gesicht spucken. Gleichzeitig hätten die Merki ohne diese Ereignisse keinerlei Chance gefunden, die Vorstöße der Bantaghorde zu überleben. Die Andeutung eines Lächelns lief über seine Züge.
Jubadi wendete sein Pferd und kehrte zum Tor zurück. Muzta fiel seitlich ein. Zwischen zwei Zeremonienfeuern, die den Eingang nach Cartha flankierten, hielten beide an und verbeugten sich im Sattel zuerst nach Osten, die Stätte des niemals endenden Rittes, die Richtung, die im Leben von allen Tugaren und Merki und den weit im Süden wandernden Horden der Bantag und Tamak eingeschlagen wurde. Dann wandten sie sich um und verbeugten sich nach Westen, dort, wo Ruhe zu finden war, wo die Tage und die Zeit überhaupt endeten und der Weg zu den Sternen hinaufführte. Muzta betete lautlos darum, dass auch in diesem Augenblick Qubata und all die übrigen Gefallenen über jene endlose Steppe der Nacht ritten, dass sie zu ihm herabblickten und ihm zuflüsterten, wenn er in seinen Träumen durch die Reiche der Ewigkeit wanderte.
Unter dem Torbogen der Stadt entspannte sich Muzta in der kurzen Kühle, die er dort fand. Diese südlichen Länder waren verdammt noch mal zu heiß, und obwohl der Anlass danach verlangte, wünschte er sich, er hätte die schwere zeremonielle Rüstung, den Viehhautumhang und den schweren, mit vier Viehschädeln geschmückten Kriegshelm nicht zu tragen brauchen. Der kurze
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