Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
angegriffen worden war.
Also hatte die Seemacht im Süden eindeutig eine kriegerische Haltung angenommen. Andrew erblickte die Logik darin. Die südliche Horde würde im kommenden Herbst auf Cartha marschieren, falls die Meldungen zutrafen, und sie hatte den Carthas zweifellos befohlen, jeden Kontakt zu den abtrünnigen Rus im Norden abzubrechen.
Das war Andrews zentrale Sorge. Die Tugaren, das fühlte er, würden nicht wieder aufstehen – sie hatten versucht, die Roum anzugreifen, und waren verjagt worden, wonach aller Kontakt zu ihnen abbrach. Aber die südliche Horde, die über tausendeinhundert Kilometer weit im Süden die Steppe durchwanderte, verkörperte eine potenzielle Gefahr und konnte durchaus irgendwann beschließen, sich nach Norden zu wenden. Die Verteidigungslinien, die Andrew derzeit hundertsechzig Kilometer südwestlich von Roum anlegen ließ, waren bis dahin bereit, aber ohne die personelle Unterstützung durch Roum würde die Lage rasch verzweifelt aussehen, falls sich die Merkihorde jemals nordwärts wandte.
Allerdings hatten die Überlebenden des Carthaangriffs noch etwas zu vermelden gewusst, das weit beunruhigender war. Sie behaupteten, einmal bei Einbruch der Dunkelheit ein großes dreimastiges Schiff am Horizont erblickt zu haben, das Rauch nachzog. Die Ogunquit.
Seit seiner Flucht war von Tobias nichts mehr zu hören. Andrew hatte beinahe gehofft, der aufmüpfige Kapitän würde zurückkehren. Sicher hätte er ihn daraufhin erst mal so richtig zur Schnecke gemacht, aber wenn er ganz ehrlich war, so konnte er ihm die Flucht nicht vorwerfen – die Schlacht war verloren gewesen, und mit dem Schiff hatte sich ihm eine Möglichkeit geboten zu entkommen.
Und dieser andere Gedanke ließ Andrew seither nicht mehr los: falls Tobias nicht zurückkehrte, was genau führte er dann im Schilde?
»Noch Wein?«, fragte Marcus auf Lateinisch, trat an Andrews Seite und reichte ihm einen Silberkelch.
Andrew nahm das Getränk entgegen und versuchte, sich ein Lächeln abzuringen.
Kapitel 2
Die Demütigung brannte sich in seine Seele, zerriss ihm das Herz, und er hatte das Gefühl, als könne er keinerlei weiteren Schmerz mehr ertragen. Muzta Qar Qarth, Anführer der Tugarenhorde, stand allein am Bug des Schiffes, das die Meerenge des Binnenmeeres durchfuhr.
Qar Qarth, dachte er eisig, Anführer einer Horde, die nicht mehr existiert! Einst waren seine Krieger so zahlreich gewesen wie die Sterne am Himmel, so kraftvoll wie der Wind, durchzuckt von den Blitzen, die aus dem immer währenden Feuer des Himmels stammten, so entsetzlich in der Schlacht wie Bugglaah, Göttin des Todes, die des Qar Qarth Befehl Folge leistete und alle seine Feinde niedermetzelte.
Und jetzt war alles dahin, die Macht und die Majestät der Tugarenhorde, reduziert auf hungernde, zerlumpte Reste; und das von der Hand des Viehs.
Er drehte sich zu der Merki-Eskorte um, die am Heck des Schiffes stand. Die Horde der Roten Sonne, seit endlosen Generationen der verhasste Feind, den Muztas Vater bei Orki geschlagen hatte, mit Qubata an seiner Seite.
»Mein alter Freund Qubata, hättest du mir geraten, diesen Weg einzuschlagen?«, flüsterte Muzta.
»Mein Fürst, hast du etwas gesagt?«
Muzta blickte zu dem arroganten jungen Merki hinüber, der sich ihm von hinten genähert hatte.
Knurrend schüttelte Muzta den Kopf.
Anderen war dies auch schon aufgefallen, diese Gespräche mit Qubata, als ritte der ergrauende alte Freund noch immer an seiner Seite. In gewisser Hinsicht tat er das ja auch, dachte Muzta, und der Hauch eines Lächelns legte seine Züge in Falten. Welchen Rat hätte ihm Qubata angesichts dieser abschließenden Demütigung gegeben?
Er hätte ihm geraten, genau das zu tun, denn zur Zeit öffnete sich kein anderer Weg zu überleben.
Nach dem Debakel vor Rus waren weniger als dreißigtausend Krieger am Leben geblieben; zusammen mit der gewaltigen Zahl der Frauen und Kinder, die sich zum Glück nicht im Weg der Flut aufgehalten hatten, waren sie nach Osten und Süden gezogen. Muzta war damit einverstanden gewesen, dass die ihm vom Yankee Keane mitgegebenen Viehheiler vorauszogen, um die Ausbreitung der Pocken zu stoppen. Was jedoch die Tugaren anging, so folgte ihnen der Hunger auf Schritt und Tritt. Und die Demütigung verschlimmerte sich noch, als die Roum, nachdem sie vom Sieg der Rus erfahren hatten, hinter den äußersten Dörfern ihres Reiches seinen Vormarsch aufhielten und sich sogar weigerten, auf einen
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