Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
vierhundert Meter, und Vincent betete lautlos darum, dass die Carthalinie irgendwie zusammenbrach. Der Gedanke daran, auf hundert Meter Distanz stehen zu bleiben und sauber abgemessene Salven in ihre schutzlosen Reihen zu jagen, erfüllte ihn mit Abscheu.
Und doch wurde er, als er einen Blick über die Schulter warf, von der schönen und schrecklichen Macht von Männern mitgerissen, die mit kalter Präzision marschierten, als hielten sie eine Parade ab.
»So entsetzlich wie eine Armee mit flatternden Bannern«, flüsterte er, von Ehrfurcht erfüllt bei der Vorstellung, dass all das unter seinem Kommando stand, dass die Männer ihn anblickten wie den Hauptdarsteller auf einer Bühne, das Schwert erhoben und nach vorn gerichtet.
Noch dreihundert Meter, dann zweihundert; in gemessenem Schritt donnerte das Regiment übers Feld, begleitet vom Kontrapunkt heulend durch die Luft peitschender Artilleriegeschosse, die mit tödlicher Wirkung in die Reihen der Carthas pflügten.
Zu seiner Linken hörte Vincent einen wilden Schrei, und als er hinüberblickte, sah er Welnikow den Hang hinabgaloppieren und dabei den Hut schwenken, und er stürmte seiner Batterie voraus, deren sechs aufgeprotzte Geschütze wild hüpfend dahinrasten.
»Gottverdammt, Welnikow, bleiben Sie bei der Formation!«, brüllte Vincent, aber er wusste, dass er nicht durchdrang. Der verdammte Artillerist war auf Ruhm erpicht. Die Geschütze fächerten keine hundert Meter vor den Carthas aus; die Besatzungen sprangen von den Protzen, lösten die Kanonen davon und schwenkten sie herum.
Und in diesem Augenblick schmolz das Zentrum der feindlichen Formation plötzlich dahin; die Spießträger warfen ihre Waffen weg und strömten rückwärts davon, was wie eine wilde Panik aussah, ehe überhaupt der erste Schuss abgefeuert worden war.
Ein wilder Schrei stieg hinter Vincent auf, und er blickte zurück und sah, dass seine Reihen kurz davor standen, die Formation aufzulösen und vorzustürmen.
Mit einem Wutschrei richtete er sich in den Steigbügeln auf und reckte den Säbel zur Seite, das Zeichen für die Männer, ihre Formation zu halten.
Die Disziplin hielt; der Drang nach vorn schwand.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war zu einfach. Besorgt blickte er die Frontlinie entlang und sah, dass bei der Roumlegion die Disziplin versagte und die Soldaten zu einem ungleichmäßigen Sturmlauf ansetzten, Marcus und die Patrizier mitgerissen vom Druck der eigenen Männer, die von hinten herandrängten. Sobald die Talmulde zwischen den beiden Kammlinien überwunden war, schwärmten die Legionäre den vor ihnen liegenden Hang hinauf, wobei sie jubelten und die Speere schwenkten und sich zu einem blutrünstigen Mob auflösten, um die letzten hundert Meter zum Kamm zu überwinden.
Die Hügelkuppe blieb nur einen Augenblick lang unbesetzt. Als wüchsen sie aus dem Gras hervor, schoben Männer Karren auf den Kamm, flankiert von einer Doppelreihe mit Musketen bewaffneter Infanteristen.
»Gnädiger Gott im Himmel!«, flüsterte Vincent.
Noch konnte er sich zurückziehen, aber er durfte einfach nicht Marcus’ Leute hier zurücklassen und zusehen, wie sie niedergemetzelt wurden. Ihm blieb nur eine Wahl.
»Fünftes Suzdalisches, im Laufschritt voraus!«
Die erste Rauchwolke stieg von der Carthakanone am weitesten rechts auf; innerhalb eines Augenblicks lief die Welle die gesamte Reihe entlang, als vierzig Geschütze das Feuer auf die anrückende Armee eröffneten.
Ein Eisenhagel prasselte in die Reihen des Fünften. Männer stürzten ins Gras, vor Schmerzen schreiend, als die Kartätschen ihre blutigen Bahnen durch die Formation pflügten.
Yurgenin riss sein Pferd herum, kippte aus dem Sattel und rührte sich nicht mehr. Vincent warf kurz einen Blick hinter sich, aber die Männer stürmten weiter.
»Wir müssen in Reichweite kommen!«, brüllte er. »Ihre Kanoniere sind nicht besonders gut!«
Welnikows Batterie jagte ihre erste Salve los, und Vincent sah, wie sie breite Schneisen durch die Linien der Musketiere und Kanoniere auf dem Hügel trieb.
Noch hundertfünfzig Meter; das Regiment rannte weiter, die Gefechtsbanner voraus, und die Männer stießen heisere Schreie aus.
»Hundert Meter; fast da!«, brüllte Vincent; dann jagten Donner und Blitze die gesammte Carthalinie entlang, als sie dort eine weitere Salve losjagten.
Sein Pferd bäumte sich auf, wieherte vor Schmerzen und kippte um. Hastig sprang Vincent herunter, brachte sich in Sicherheit, ehe das eine
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