Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
Marcus lächelnd, sah Boris an und tätschelte ihm die Schulter.
»Wir waren gerade auf dem Weg zur Südmauer. Dichtes Gedränge herrschte auf der Straße, und die Leute liefen durcheinander. Plötzlich sah ich Metall aufblitzen. Sie waren sofort neben ihm. Na ja, unser Marcus hat den Ersten erwischt, kein Vertun! Ich habe den Zweiten mit dem Bajonett erledigt.« Und er deutete mit dem Kopf auf seine Klinge, die mit getrocknetem Blut bedeckt war.
»Du hättest sie nie so nahe heranlassen dürfen!«, schrie Vincent wütend.
»Falls Sie sich über ihn aufregen: lassen Sie es«, mahnte Marcus besänftigend, denn er spürte die Wut in Vincents Worten. »Er hat gute Arbeit geleistet. Außerdem waren es womöglich einfach nur zwei Verrückte.« Es klang abschätzig.
»Das bezweifle ich!«, raunzte Vincent.
»Na ja, niemand kann seine Version beweisen, also vergessen wir das Thema lieber.«
Vincent wandte sich von Marcus ab und trat näher an Boris, der ihn mit großen Augen ansah.
»Beim ersten Mal hast du es zur Hälfte richtig gemacht«, sagte Vincent kalt. »Du solltest lieber darauf achten, es beim zweiten Mal komplett richtig hinzubekommen. Sollte er getötet werden, wird sich hier alles auflösen, und dafür haftest du mir mit deinem Kopf!«
»Ja, Sir«, sagte Boris mit zitternder Stimme.
»Also in Ordnung; wir verstehen uns, Boris.« Und er wandte sich ab.
Er hasste es, seine Befehlsgewalt so auszuspielen. Bislang hatte er es stets so gehalten, dass er die Härten mit den Männern teilte, mit leiser Stimme Befehle gab und durch sein Beispiel führte. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn hatte er jetzt einen Soldaten bedroht, und er fand es abscheulich. Aber er wusste keinen anderen Weg.
Er blickte wieder in die Bresche hinab, wo die Sklaven erneut am Hilfswall arbeiteten.
»Wissen Sie, Marcus, Sie haben fast zweihunderttausend Menschen in dieser Stadt, und doch stehen nur zehntausend unter Waffen.«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte Marcus.
»Wenn der Feind die Stadt stürmt, hat er den Vorteil der Waffen voll auf seiner Seite.«
»Falls Ihre Leute wie versprochen die tausend Musketen geliefert hätten, wären die Chancen besser ausgeglichen.«
»Sir, wir müssen zuerst noch eine komplette Division bewaffnen. Sobald ein Überschuss produziert worden wäre, hätten wir sie geschickt.«
Er wusste, dass es gelogen war. Nachdem Kal im Anschluss an die förmliche Vertragsunterzeichnung die Sklavenarbeit in Hispania erblickt hatte, hatte er deutlich gemacht, dass er keine Regierung zu bewaffnen gedachte, die diese Waffen womöglich gegen das eigene Volk einsetzte. Die Musketen alter Machart mit glatten Läufen lagen zu Tausenden in Lagerhäusern und warteten auf die Umrüstung zu gezogenen Läufen. Heute wünschte sich Vincent, sie wären in diesem Punkt einen Kompromiss eingegangen und hätten die Waffen geschickt.
»Sie haben über hunderttausend Menschen in der Stadt, die wie die da unten schuften«, sagte Vincent und deutete auf die Sklavenmannschaften, die nervös die Blicke der beiden Vorgesetzten erwiderten.
»Sollen Sklaven kämpfen?«
»Sie haben mit aller Macht gegen die Reste der Tugaren gekämpft.«
»Weil sie wussten, dass nach einer Niederlage zwei von zehn aus ihren Reihen in die Schlachtgruben gewandert wären.«
»Sie könnten auch gegen die Carthas antreten. Durch ihre schiere Anzahl würde sich die Waagschale neigen.«
»Und was sollte sie stimulieren?«, wollte Marcus wissen.
»Eine Chance auf die Freiheit, Marcus«, antwortete Vincent.
»Vor Petronius haben Sie gesagt, Sie würden keine Revolution gegen mich unterstützen. Was schlagen Sie jetzt anderes vor als eine Revolution?«
»Ich schlage eine Rettung für uns alle vor. Falls Sie den Sklaven dieser Stadt im Gegenzug für ihren Kriegseinsatz die Befreiung versprächen, dann würde fast jeder von ihnen Ihrer Führung folgen. Verdammt, Sie gelten bei ihnen fast schon als eine Art Held, weil Sie die Tugaren zurückgeschlagen haben! Sie würden Ihnen folgen, Marcus.«
»Und anschließend wäre mein Land zerstört.«
»Marcus, ohne diese Menschen haben Sie gar kein Land.«
»Drängen Sie mich nicht!«, wehrte Marcus kalt ab. »In fünf Tagen sind Ihre Kameraden hier. Die da draußen müssen wissen, dass es Wahnsinn wäre, zu bleiben und von Ihrer Armee gestellt zu werden.«
»Oh, sie wissen, dass unsere Leute kommen«, sagte Vincent und dachte wieder an das Rätsel, warum die Telegrafenleitung nicht früher gekappt worden
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