Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
war. »Ich vermute fast schon, sie möchten, dass Andrew mit der Armee hier anrückt.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Aber ich vermute, dass wir alle im Rahmen irgendeines hintergründigen Plans manipuliert werden: Sie, Andrew, überhaupt jeder.«
»Und manipulieren Sie mich nicht mit eigenen Plänen«, sagte Marcus gelassen. »Ich habe Sie schätzen und bewundern gelernt, so jung Sie auch sind. Aber Sie haben etwas von einem Träumer an sich, Vincent Hawthorne. Vielleicht liegt es an diesem seltsamen und absurden Quäkerglauben von Ihnen.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich noch als Quäker bezeichnen kann«, entgegnete Vincent traurig. »Ich habe zu oft getötet, um diesen Glauben noch für mich in Anspruch zu nehmen.«
»Hätten Sie sich lieber den Tugaren unterworfen oder denen da draußen, von denen wir beide den Verdacht haben, dass sie nur die menschliche Maske der Merki sind?«
»Nein«, flüsterte Vincent, der sich ein wenig dafür schämte, dass er seinen Abfall vom Glauben offen eingeräumt hatte.
»Mein Glaube an die Freiheit ist jedoch beständig«, fuhr er fort.
»Wie auch mein Glaube an die Bewahrung Roums als der Ewigen, die es von jeher ist.«
Ein schmales Lächeln lief über Marcus’ gut aussehendes, aber von Sorge gezeichnetes Gesicht.
»Ich denke, wir stecken in einer Sackgasse, mein junger Botschafter«, sagte Marcus und machte so deutlich, dass die Diskussion beendet war.
Vincent wurde sich auf einmal der Tatsache bewusst, dass sie seit einiger Zeit auf der Mauerkrone standen und in dieser Zeit kein Schuss aus den schweren Belagerungsgeschützen oder den leichteren Waffen abgefeuert worden war. Er drehte sich um und trat an die Brüstung.
Draußen erblickte er neben der Geschützbatterie mehrere Reiter. Er zog das Fernglas hervor und blickte hindurch.
»Es ist Cromwell!«, zischte er und reichte Marcus das Fernglas.
»Verdammt, ich gäbe alles für ein Whitworth!«, raunzte Vincent, erzürnt über die eigene Ohnmacht.
»Da ist etwas im Busch!«, verkündete Boris.
Einer der drei Reiter löste sich von der Gruppe, ritt über den Schutzwall der Batterie und überquerte das Feld. Eine weiße Flagge flatterte an seiner Lanze.
»Was bedeutet eine weiße Flagge?«, wollte Marcus wissen.
»Sie ist das Symbol eines Waffenstillstands. Sie möchten verhandeln.«
Marcus sah ihn an.
»Sie haben uns nichts anzubieten, Marcus. Das ist ein kalkulierter Zug, um mit unserer Schwäche zu spielen.«
»Hören wir uns erst mal an, was sie zu sagen haben.«
Der Reiter näherte sich, schwenkte die Flagge über seinem Haupt und wurde langsamer, je dichter er an die Mauer kam. Er hielt fünfzig Meter davor an und reckte die Flagge hoch.
»Komm näher!«, rief Marcus.
Vorsichtig näherte sich der Mann der Bresche und betrachtete die Ruinen interessiert.
»Boris, ziele mit dem Gewehr auf ihn«, befahl Vincent.
Erfreut grinsend trat Boris an den Rand der Bresche und spannte den Hahn der Waffe, woraufhin der Reiter aufblickte.
»Du solltest lieber etwas mit mir zu besprechen haben, oder ich lasse dich erschießen!«, verkündete Marcus.
»Ich suche Marcus Licinius Graca, den ersten Konsul der Roum.«
»Ich bin hier«, antwortete Marcus scharf.
»Mein Oberbefehlshaber möchte, dass Ihr zu ihm kommt und Verhandlungen aufnehmt, damit die Differenzen zwischen uns ohne weiteres Blutvergießen beigelegt werden können. Er verspricht Euch, dass Ihr dabei sicher seid.«
»Nicht Sie selbst!«, lehnte Vincent scharf ab. »Das tut man nicht, und Sie können ohnehin nicht wagen, die Stadt zu verlassen.«
»Ich schicke einen Sendboten.«
»Ihr habt nichts von uns zu befürchten«, gab der Unterhändler in ironischem Ton zurück. »Eure Sicherheit ist Euch versprochen.«
»Nie im Leben«, entgegnete Vincent. »Schicken Sie jemand anderen.«
Marcus blickte zu ihm herab und lächelte.
»Dann gehen Sie.«
»Ich? Ich bin Botschafter der Rus, nicht Ihr Unterhändler.«
»Wen sollte ich dann schicken? Einen meiner Senatoren? Dieser Krieg betrifft Sie nicht weniger als uns. Und schließlich treffen sie dort Ihren Cromwell. Ich schicke Sie.«
Mit Glockengeläut wurde die Lokomotive langsamer. Andrew trat auf die Plattform des Waggons hinaus und packte nervös das Geländer.
Falls er etwas nicht ertragen konnte, dann war das große Höhe. Vorsichtig spähte er gut dreißig Meter tief ins Flusstal.
»Überqueren wir den Kennebec, Sir?«, fragte ein Bursche, der zur Tür hinausblickte und dann ganz herauskam
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