Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
»Dann soll
es so sein, mein Freund.«
Nachdem sie alle gegangen waren, lag der Krieger noch
lange in seiner Dunkelheit wach und quälte sich mit
Gedanken über Timozel.
Was für ein prachtvolles Kind er gewesen war. Und
auch als er zum Knaben herangereift war und nichts als
Unsinn im Kopf zu haben schien, hatte ihm niemand
wirklich böse sein können. Timozel hatte ständig
Streiche ausgeheckt, sehr viel gelacht und war Ganelons
ganzer Stolz gewesen.
Als Jüngling schließlich hatte er stets seine Umgebung
zu bezaubern gewußt, aber jetzt fragte Axis sich, wieviel
von dieser Liebenswürdigkeit aufgesetzt gewesen war.
Timozel hatte sich zu einem hervorragenden Soldaten
entwickelt, und der Krieger wollte ihm bald den Befehl
über eine eigene Einheit übertragen haben, als der
Jüngling bei den Alten Grabhügeln mit Faraday verschwunden war.
Seitdem hatte sein Freund sich immer mehr verändert.
Aber wann und wo genau war es zu dieser Verwandlung
gekommen? Seit er herausgefunden hatte, daß Axis mit
seiner Mutter Embeth ins Bett stieg? Hatte das den
Wechsel ausgelöst? fragte sich der Krieger. Er drehte
sich auf seinem Lager und schrie vor Schmerz, als die
Decke an seiner verkrusteten Haut hängenblieb. Lange
lag Axis nur da, saugte die kalte Luft tief in seine Lungen
und versuchte, bei Bewußtsein zu bleiben, und zwang
dann seine Gedanken zu dem ehemaligen Freund zurück.
Wer konnte schon wissen, was mit dem Jüngling
geschehen war? Axis erinnerte sich daran, wie er sich
noch als Axtherr um Timozel gesorgt hatte. Vor allem
bei der Frage, wie er es seiner Mutter hätte beibringen
sollen, wenn ihr Sohn jemals im Kampf fallen würde.
Damals wäre ihm wohl niemals in den Sinn gekommen,
daß er selbst es sein könnte, der dem Jüngling einmal das
Schwert in den Leib stoßen würde – so wie dieser es bei
Jorge getan hatte.
Heute sehnte sich der Sternenmann geradezu danach.
Er wollte Timozel nicht nur seine Klinge in den Bauch
bohren, sondern sie bis zum Heft hineinstoßen und dann
noch einmal herumdrehen, bis er spürte, wie der Stahl an
Knochen schabte.
»Timozel«, flüsterte der Krieger in die Düsternis
seines Zelts. »Ich hoffe, Euren Verrat bald beenden zu
können. Wie viele von denen, die Ihr einmal Eure
Freunde nanntet, mußten auf Euren Befehl ihr Leben
lassen? Und was ist nur in Euch gefahren, Euch Gorgrael
anzuschließen? Wie konntet Ihr nur? Was habe ich Euch
angetan, daß Ihr mir das so vergelten wollt?«
33 F ALLE !
»Aber, aber, Bäuerin Renkin«, kicherte Faraday, »das
glaube ich Euch nie und nimmer!«
»Wenn ich es Euch doch sage«, nickte diese bestätigend und freute sich darüber, Faraday so fröhlich zu
sehen. »Ich habe gar nichts dazutun müssen. Kam
einfach herausgeflutscht wie ein geölter … na ja, es ging
alles wie von selbst. Aber das war ja auch mein drittes
Kind, und da läuft es immer leichter.«
Faraday kniete sich hin und grub immer noch lächelnd
mit den Fingern in dem weichen Boden. Sie hatten
mittlerweile die Ausläufer der Farnberge erreicht, und hier
ließ sich die Erde leichter bearbeiten als der hartgestampfte
Lehmboden der Ebenen von Arkness. Auch hatte hier nie
ein Pflug Furchen gezogen, und so zeigte sich das Erdreich
besonders empfänglich für die Hände und Finger der Edlen.
Nachdem Faraday ein kleines Loch geschaffen hatte,
reichte Frau Renkin ihr den nächsten Setzling. Das
Bäumchen zitterte vor Aufregung in seinem Topf und
wäre beinahe herausgesprungen. Faraday beruhigte den
Schößling, indem sie ihm leise etwas vorsang und die
kleinen Blätter streichelte. Als der Setzling ruhiger
wurde, ließ sie ihn sich auf den Handteller setzen und
von dort aus in das Loch gleiten.
»Thona«, flüsterte die Edle ihm zu, »möget Ihr hoch
wachsen, und möge Eure Stimme sich eines Tages mit
der des Erdbaums vereinen.«
Und während sie das Lied des Erdbaums summte,
füllte sie das Loch mit Erde auf und klopfte sie fest.
Dann lehnte Faraday sich auf den Hacken zurück und
dachte an Thonas Geschichte, an den Kummer und die
Freude im Leben dieser awarischen Magierin. Denn sie
hatte die Lebensgeschichte eines jeden einzelnen
Schößlings auswendig gelernt, um ihrer im Moment des
Einpflanzens zu gedenken.
Die Bäuerin sah schweigend zu. Wenn Faraday fertig
war, würde sie dem neuen Baum ihr eigenes törichtes
kleines Wiegenlied singen, dasjenige, das alle diese
Kleinen immer so zum Glucksen brachte. Doch bis es so
weit war,
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