Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
fertigzuwerden, die
er während der Ereignisse einige Tage zuvor auf sich
geladen hatte. Hinzu kam, daß Aschure sich trotz der
Behinderung, die die schwierige Schwangerschaft
darstellte und von der er nichts gewußt hatte, mit unverdrossenem Mut durch die fürchterliche Schlacht von
Bedwyr Fort gekämpft hatte. Er drückte ihre Hand fester,
als er sich vergegenwärtigte, welcher glücklichen Fügung
er es zu verdanken hatte, daß diese tapfere junge Frau die
vergangenen Wochen überhaupt überlebt hatte.
»Bitte«, sagte Aschure wieder. »Einmal noch.« Sie
hob die freie Hand, um sich einige Haarsträhnen aus der
Stirn zu streichen, und der Ring der Zauberin schimmerte
im goldenen Licht des Spätnachmittags.
Axis und Sternenströmer hatten zum ersten Mal versucht, Aschure im Gebrauch ihrer ikarischen Kräfte zu
unterrichten. Schon die ersten Ergebnisse hatten alle
Anwesenden entmutigt – einschließlich Caelum, der die
Vorgänge von seiner Ecke aus mit großen Augen
beobachtete.
Sternenströmer wechselte auf einen Stuhl an Aschures
Seite. Er erinnerte sich daran, wie vergleichsweise einfach
es für ihn und Morgenstern gewesen war, Axis auszubilden. Wolfstern, Aschures Vater, hatte jedoch weder Zeit
noch Mühe darauf verwendet, seiner Tochter auf ähnliche
Weise sein Wissen zu vermitteln wie Axis oder Gorgrael,
und sie allem Anschein nach auch in jeder anderen
Hinsicht vollkommen ignoriert. Sternenströmer kochte vor
Wut, wenn er daran dachte, wie Wolfstern sie ihrem
furchtbaren Schicksal in Smyrdon überlassen hatte.
So wie seine Großmutter es einst bei ihm getan hatte,
so umfing nun der Krieger Aschures Gesicht mit beiden
Händen.
»Hört dem Sternentanz zu«, forderte er sie auf.
»Ja«, antwortete sie kaum hörbar.
Wenigstens den Sternentanz hatte sie ebenso mühelos
vernommen wie Axis – aber sie hatte ihn schon seit
langer Zeit gekannt, ohne zu wissen, warum. Jedesmal,
wenn Axis sie liebte, konnte sie ihn hören; manchmal
auch dann, wenn Caelum an ihrer Brust trank oder wenn
sie an einem offenen Fenster stand und sich vom Wind
umwehen ließ; dann aber auch in der Nacht, wenn sie
von weit entfernten Ufern träumte und vom Kommen
und Gehen seltsamer Gezeiten auf Felsen und Sand.
Aber Aschure hörte auch die Dunkle Musik, den Tanz
des Todes, jene Musik abtrünniger Sterne, die den ihnen
zugewiesenen Kurs verließen. Weder Axis noch Sternenströmer oder irgendein anderer der ikarischen Zauberer
vermochten diese Musik für gewöhnlich zu vernehmen.
Sie spürten diese Klänge nur, wenn jemand sich ihrer
bediente. In der Nacht des Kampfes zwischen Axis und
Bornheld hatte Sternenströmer die Musik im Mondsaal
vernommen. Axis war Zeuge gewesen, als zwei der
Skräbolde sie an den Toren von Gorken anwendeten, und
er und sein Vater spürten ihre Gegenwart an jenem
Morgen, als Aschure Dunkle Musik einsetzte, um den
Greifen in Stücke zu reißen, der sie oben auf dem
Narrenturm angegriffen hatte.
Aschure verbannte die schauerlich verzerrten Töne in
die tiefsten Tiefen ihres Gedächtnisses und wandte sich
aufmerksam dem überwältigend schönen Sternentanz zu.
Alle ikarischen Zauberer bedienten sich der Kraft des
Sternentanzes, indem sie Bruchstücke seines Zaubers in
einfachere Melodien einwoben und Lieder schufen, von
denen jedes einem bestimmten Zweck diente.
Axis und Sternenströmer hatten versucht, Aschure
einige der einfacheren Lieder beizubringen, die alle
zukünftigen ikarischen Zauberer binnen weniger als zwei
Stunden beherrschten. Sie mühten sich nun schon seit
fast fünf Stunden ab, aber Aschure gelang es nicht, auch
nur eine einzige Liedzeile zu behalten.
Aschure schloß die Augen und konzentrierte sich auf
das Lied, das der Krieger ihr langsam vorsang. Er hatte
das einfache Lied der trocknenden Wäsche ausgewählt,
das nur den denkbar winzigsten Einsatz der Kraft
erforderte, aber selbst das lag anscheinend jenseits von
Aschures Fähigkeiten.
Axis beendete seinen Gesang, und er und Sternenströmer hielten den Atem an.
Entspannt Euch, Geliebte. Dies ist ein einfaches Lied.
Singt es für mich.
Aschure seufzte und begann, die Melodie wiederzugeben. Axis und Sternenströmer zuckten zusammen.
Ihre Stimme klang spröde und vollkommen unmelodisch,
und ihr fehlte all die musikalische Schönheit, über die
jeder Ikarier selbstverständlich verfügte, ob es sich nun
um Zauberer handelte oder nicht.
Axis erinnerte sich an Aschures Versuche, in die
Lieder am
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