Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
schwamm sie weiter.
Als die Katzenfrau endlich glaubte, ihre Kräfte würden sie im Stich lassen, sah sie weit unter sich Lichter in
der Dunkelheit glühen. Mit diesem Ziel vor Augen setzte
sie ihre letzten Kraftreserven ein und achtete nicht weiter
auf ihre schmerzenden, vor Anstrengung zitternden
Muskeln und ihre nach Luft gierenden Lungen.
Die Prophezeiung stand kurz, so kurz vor der Erfüllung, daß die Siegesgewißheit Yr die letzten paar
Schwimmzüge vorwärtstrieb.
Dort!
Die Ruhestätte befand sich unmittelbar unter ihr, ein
mächtiges Gebilde und beinahe vollständig unter Schlick
begraben. Nur das oberste Stück der sanft gerundeten
Kuppel durchbrach den Grund des Sees, und an ihrer
Außenseite glühten ringsherum schwache Lichter in
unendlich vielen verschiedenen Farbtönen. Die Oberfläche war glatt und von stumpfem Grau, und Yr wußte, daß
sie in hellerem Licht ebenso silbern geglitzert hätte wie
das Gewand des Propheten oder ihr eigenes, hinter ihr
herflutendes Haar.
Yr schwamm zur Ruhestätte hin und suchte die riesige
Oberfläche nach einer Öffnung ab, die sich irgendwo
befinden mußte, davon war sie überzeugt.
Aha! Das muß sie sein! Die Katzenfrau ließ die Hände
über die glatte Oberfläche des verschlossenen Eingangs
gleiten und ertastete eine Erhebung aus vielfarbigen
Edelsteinen. Den Anweisungen folgend, die ihr der
Prophet vor dreitausend Jahren gegeben hatte, strich Yr
sorgfältig mit den Fingern über bestimmte Edelsteine und
lauschte den Tönen, die sie dabei von sich gaben. Sie
genoß die Schönheit der Musik, welche die Steine
erzeugten.
Plötzlich brachen die Klänge ab, und die Edelsteinerhebung sank in die Oberfläche der äußeren Hülle der
Ruhestätte zurück. Im nächsten Augenblick öffnete sich
eine kreisförmige Tür, und hinter ihr tat sich ein schwarzes Loch auf. Über alle Maßen dankbar, bald wieder Luft
atmen zu dürfen, vollführte die Wächterin einen letzten
kräftigen Stoß mit den Beinen und schwamm in die
Dunkelheit.
Sobald ihre Füße an der Kante der Außenhülle vorbeiglitten, schloß sich die kreisrunde Tür lautlos. Einen
Augenblick später rann auch schon das Wasser, dem
Propheten sei Dank, aus der Kammer, in der sie sich nun
befand. Sie kämpfte sich auf die Füße und verharrte so
für lange Zeit, die Hände auf die Knie gestützt und nach
der süßen frischen Luft schnappend. Ihr Körper mußte
sich erst von ihrem langen, mühseligen Weg erholen.
Nun war die Katzenfrau endlich hier angelangt, und
sie vergaß alle Traurigkeit und alles Bedauern. Während
ihr Körper die Luft und das Verweilen dankbar in sich
aufnahm, spürte sie freudige Erregung in sich aufsteigen.
Yr richtete sich auf und schaute sich um. Die Kammer
war klein und leer, aber in der gegenüberliegenden Wand
entdeckte sie eine weitere kreisförmige Tür. Langsam ging
sie dorthin und begann, Worte in einer seltsamen Sprache
zu murmeln, bei der es sich, wie ihr der Prophet erklärt
hatte, um die Sprache der Uralten handelte. Tatsächlich
glitt die Tür zurück. Ein schwach beleuchteter Gang
erstreckte sich vor ihr und schien sich in die Unendlichkeit
auszudehnen. Zuversichtlich und von Freude erfüllt,
schickte die Wächterin sich an, ihn zu betreten.
Lange Zeit lief sie den Gang entlang und kam an
seltsamen Dingen vorbei – Kammern, Höhlen, Schränken
und noch mehr Gängen –, aber Yr kannte ihr Ziel und
verspürte kein Verlangen, all die anderen Wunder zu
erforschen.
Sie befand sich auf dem Weg zum großen Quell der
Macht im Herzen der Ruhestätte.
Nach einer Weile vernahm die Katzenfrau eine liebliche Weise, gesummt mit nahezu atemloser Innigkeit, und
sie wußte, daß sie sich nun dem Quell näherte. Der
Prophet hatte ihr von dem Zauber erzählt, über den die
Uralten einst verfügten und aus dem der Quell der Macht
sich speiste, aber Yr hatte nicht geahnt, daß er so
wunderschön sang.
Oder so tödlich sein konnte.
Vor einem offenen, lichtumrahmten Türbogen hielt sie
inne. Yr konnte drinnen den Quell summen hören. Nicht
einmal das Sternentor, so schoß es ihr durch den Kopf,
sang so schön.
Die Kammer erwies sich als kreisförmig, wie so vieles
in der Ruhestätte, und in ihrer Mitte befand sich die
Quelle. Yr stellte überrascht fest, daß sie vergleichsweise
klein war, hatte sie doch mit etwas weitaus Gewaltigerem
gerechnet, aber die ganze Anlage wies bestenfalls den
zweifachen Umfang eines stämmigen Körpers auf. Die
Mauern
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