Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
der Einfassung erhoben sich bis in Hüfthöhe, und
die Macht, die sie umschlossen, ließ sie golden glühen.
Die Katzenfrau näherte sich der Quelle und stand für
eine Weile da, um die goldene Macht im Inneren
anzustaunen und der Musik zu lauschen. Dann seufzte
sie, trat einen Schritt nach vorne, so daß ihr Unterkörper
gegen die Einfassung lehnte, und tauchte Arme und
Gesicht in die Macht, die nach ihr rief.
Als Yr wieder auftauchte, erschien sie den vier Beobachtern zunächst kein bißchen verändert. Aber sobald sie auf
die vier zutrat, erkannten sie, daß ihre blauen Augen
seltsam glitzerten und hell vor Macht strahlten.
Alle sehnten sich danach, sie zu berühren, wußten
aber, daß dies ihren Tod bedeutet hätte. So lächelten sie
nur traurig, nickten und zogen sich lautlos zurück.
Yr raffte ihr Gewand vom Boden auf und folgte ihnen,
wobei sie vier oder fünf Schritte hinter ihnen blieb.
So begannen sie ihren langsamen Marsch nach Osten.
12 A BSCHIED
Entlang der Straßen von Karlon drängten sich seit dem
frühen Morgen die Menschenmengen. Heute brach der
große Fürst Axis, der Sternenmann, an der Spitze seiner
Armee nach Norden auf, um Gorgrael den Zerstörer
zurückzuschlagen. Sobald sich sein Schicksal erfüllte,
erwartete sie alle ein reiches und erfülltes Leben, und
Lachen und Freude würden kein Ende nehmen.
Die frohe Erwartung, die in der Luft lag, steigerte sich
immer mehr. Bunte Fahnen flatterten an Häusern und
Geschäften, Menschen lehnten sich aus den Fenstern,
und Straßenmusikanten strengten sich vergeblich an, die
Menge abzulenken.
Die Armee wartete in ordentlich aufgereihten Einheiten auf den Feldern außerhalb der Stadtmauern.
Bemerkenswerterweise ließen sich diese Männer kaum
so etwas wie Aufregung anmerken, handelte es sich bei
den meisten doch um abgehärtete Veteranen. Die Kriege
in den zurückliegenden beiden Jahren hatten sie gestählt,
in denen sie zunächst gegen Gorgrael und dann gegen
Bornheld kämpften, wobei sich oft genug Verwandte
gegenüberstanden. Aber jeden einzelnen von ihnen
erfüllte Stolz, dabei zu sein, und alle fühlten sich bereit,
bis zum Tod für den Sternenmann zu kämpfen.
Den Kern der Streitmacht bildeten die ehemaligen
Axtschwinger, die früher viele Jahre für Axis und den
Seneschall gefochten hatten. Eine Reihe von Einheiten
ergänzte sie, von Isgriffs Panzerreitern über die leise
klingelnden Kämpfer aus Rabenbund, die Fußsoldaten
aus Achar, die Milizen aus Arken, verschiedene
Schwertkämpfer, Pikeniere sowie Speer- und Lanzenträger bis hin zu Aschures Truppe von Bogenschützen. Die
Luftarmada der Ikarier nicht eingerechnet, die erst am
nächsten Tag ausschwärmen sollte, umfaßte die Armee
etwa dreißigtausend Mann. Alle trugen beeindruckende
graue Uniformen, und auf der Brust eines jeden Soldaten
prangte die blutrot flammende Sonne.
Bei den Uniformen handelte es sich wie bei der getrockneten und aufgeräumten Wäsche um eines der
kleinen Wunder, die sich in letzter Zeit in Karlon ereigneten. Axis hatte immer angestrebt, seine bewaffneten
Männer mit einer einheitlichen Uniform auszustatten, und
seit Aschure vor mehr als einem Jahr in Sigholt eingetroffen war, hatte sie Näherinnen beschäftigt, die die passende
Ausstattung anfertigen sollten. Aber im Verlauf der letzten
Monate schlossen sich Axis’ Truppen sieben- bis achttausend Mann aus Bornhelds geschlagener Armee an,
wodurch seine Streitmacht zu einem solchen Umfang
anwuchs, daß sowohl Zeit als auch Material fehlten, um
jedem einzelnen Soldaten eine Uniform zur Verfügung zu
stellen. Als die Männer jedoch an diesem Morgen
aufwachten, entdeckten alle eine ordentlich zusammengefaltete Uniform am Fußende ihrer Bettstatt. Jede paßte
genau, jede glich der anderen, jede trug das geziemende
Rangabzeichen des Trägers, und das Auftauchen jeder
einzelnen erschien ihnen vollkommen unerklärlich.
Als ein vor Aufregung atemloser Bote dem Sternenmann, der mit der Zauberin beim Mahl saß, die Nachricht
von diesem Wunder überbrachte, wandte sich Axis
Aschure zu und sah sie fragend an.
Er zog die Augenbrauen hoch, obwohl er sich alle
Mühe gab, sich seine Überraschung nicht anmerken zu
lassen.
Aschure errötete und starrte aus dem Fenster. Als sie
kurz darauf sprach, klang ihre Stimme ganz ruhig.
»Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Mir träumte, ich
sähe eine glitzernde Armee, aufgereiht auf den Feldern
vor Karlon. Und ich sah weiter, daß sie alle
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