Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
dem
Rücken zusammengefaltet hatte und die Bäuerin
anstarrte.
»Bitte«, stieß sie atemlos hervor, nachdem sie zu der
Ikarierin hinübergelaufen war. »Sagt mir, was ich tun
soll.«
»Ihr müßt das tun, was Ihr am klarsten vor Euch seht«,
antwortete die Zauberin.
Frau Renkin stand da und dachte nach. Sie trat von
einem Bein auf das andere und blickte zu Boden. »Bauer
Renkin braucht mich nicht mehr so sehr wie früher«,
meinte sie schließlich. Sie sprach langsam, um den
Gedanken, die sich in ihrem Kopf formten, Ausdruck zu
verleihen. »Die Jungen sind alt genug, um die meisten
Aufgaben zu übernehmen, die auf dem Bauernhof
anfallen, und er hat Geld genug, um Knechte für die
Ernte und die Schafschur anzustellen. Meine älteste
Tochter kann auf unser Jüngstes und die Zwillinge
aufpassen.«
Sie lächelte, als ihr ein Gedanke durch den Kopf
schoß, und blickte auf. »Gnädigste Dame, kennt Ihr
zufällig die edle Fürstin Faraday?«
Zutiefst überrascht starrte Sternenschein die Bäuerin
an. »Faraday? Ja. Ja, ich kenne sie.« Und woher kennt Ihr
sie? fragte sich die Vogelfrau. Haben Bleichstern und ich
Euch aus Zufall gefunden oder war das vorherbestimmt?
»Wißt Ihr, wo sie sich aufhält?«
Sternenschein nickte langsam. »Sie reist nach Osten.
Ich bin ihr auf meinem Weg nach Tare begegnet,
irgendwo südlich kurz vor dem Wald der Schweigenden
Frau. Sie reist allein mit zwei weißen Eseln, und sie will
nach Osten. Das ist schon alles, was ich weiß.«
Die Bäuerin verzog das Gesicht. »Nach Osten? Allein? Oh, die arme edle Dame. Bei den Göttern! So geht
das aber nicht!«
Sternenscheins Miene wurde gelöster. Ob durch Zufall
oder Bestimmung, es sah ganz danach aus, als ob
Faraday Gesellschaft haben würde, ganz gleich, was sie
vorhaben mochte.
Und das war keine schlechte Sache. Nein, ganz und
gar nicht.
15 D IE
D
REIBRÜDER
S
EEN
Obwohl die zu starren Wellen gefrorenen Dreibrüder
Seen einen Anblick unberührter Schönheit vermittelten,
verschwendete kaum einer der dreißigtausend am Ufer
des südlichsten Sees lagernden Soldaten viel Zeit darauf,
die Aussicht zu bewundern. Axis hatte fast vier Wochen
benötigt, um seine Armee durch das nördliche Avonstal
über die sanften Pässe der Westberge zu führen. Nachdem sie die Pässe hinter sich gelassen hatten, rechnete
Axis damit, von Gorgraels eisigen Winden getroffen zu
werden, die Eisstücke vor sich herwirbelten.
Aber nichts als eisige Stille erwartete sie.
Warum?
Eigentlich hätte der Zerstörer mit all seiner Macht, all
seinem Eis zuschlagen müssen, sobald der Krieger und
die Truppen Tencendors aus dem Schutz der Westberge
traten.
So klares Wetter herrschte am Himmel, daß die ikarischen Kundschafter berichteten, sie hätten bis zu den
weit entfernten nebelumhangenen Gipfeln der Trübberge
und den immer noch gefrorenen Flüssen Nordra und
Fluria blicken können.
»Und nicht ein Skräling in Sicht«, flüsterte Axis. Er
stand am Nordrand des Lagers und starrte in die gefrorene Einöde hinaus, die sich vor ihnen erstreckte. »Nicht
eine einzige Geisterkreatur. Weitsicht?«
Der dienstälteste Geschwaderführer der ikarischen
Luftarmada trat an seine Seite. Das Schwarz seiner
Uniform und der Flügel bildete einen scharfen Kontrast
zu der unberührten weißen Landschaft. Er war eben erst
von einer Unterredung mit der letzten Gruppe Fernaufklärer zurückgekehrt, die er vor drei Tagen nach Norden
geschickt hatte. »Wie weit sind Eure Kundschafter nach
Aldeni vorgedrungen?«
»Nicht sehr weit, Sternenmann.«
Axis runzelte die Brauen, und Weitsicht beeilte sich
weiterzusprechen: »Dort draußen sind Greifen, und ich
wollte eine solch kleine Kundschaftertruppe nicht schon
der Gefahr ihres Zorns aussetzen.«
»Wie viele Greifen? Und wo tauchen sie auf? Haben
sie Eure Kämpfer angegriffen?«
»Sie fliegen in Schwärmen von fünfzehn bis achtzehn
über nahezu ganz Nordaldeni Streife. Keine meiner
Kundschaftergruppen wagte es, sie herauszufordern,
indem sie ihnen zu nahe kam, und anscheinend haben die
Bestien sie nicht bemerkt. Ich nehme an, unsere Sicht ist
besser als die ihre. Alle Fernaufklärer sind heil zurückgekehrt.«
»Und was haben sie gesehen?« fragte Belial, der sich
zu ihnen gesellte.
»Gefrorene Felder und zerstörte Gebäude …«
Axis wurde es mit einem Mal unbehaglich, denn er
erinnerte sich an die unter den zerstörten Straßen
Hsingards verborgenen Skrälingsnester.
»… mit Eis überzogene Wagen
Weitere Kostenlose Bücher