Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Wachtposten überschauen die
gesamten Westberge, und inzwischen bevölkern so viele
Ikarier die Farnberge, daß sicher längst jemand Alarm
geschlagen hätte, wenn die Skrälinge so weit in den
Westen vorgedrungen wären.«
»Axis, uns liegen doch sicher einige Berichte über die
Skrälinge vor. Solange ihnen das noch möglich war, sind
Tausende von Bauern vor dem Eis nach Süden geflohen.
Haben sie denn gar nichts erwähnt, was für uns von
Nutzen sein könnte?«
Aber der Fürst wußte selbst am besten, daß nur wenig
neue Erkenntnisse aus diesen Berichten zu gewinnen
waren. All die Bauern, denen die Flucht aus Aldeni
gelungen war, bevor Sturm und Frost zu tödlichen Fallen
geworden waren, berichteten von Skrälingen, die sie in
jedem Windstoß, jedem Schneegestöber zu sehen
geglaubt hatten. Wenn Axis all den Worten Glauben
schenkte, dann hätten die Geister Aldeni inzwischen
durch ihr schieres Gewicht im Andeismeer versenkt.
Belial fluchte in die Stille hinein, die sich über das
Lagerfeuer gesenkt hatte. »Sie müssen sich in Aldeni
aufhalten.«
»Und wenn sie sich hier irgendwo aufhalten, dann
werden wir sie auch finden«, meinte Ho’Demi leise.
»Wenn sie sich im Schnee eingegraben haben, dann
werden die Männer aus Rabenbund sie aufstöbern. Ich
selbst werde sie aufspüren!«
Axis blickte von den Flammen auf. »Betet darum,
Ho’Demi«, erklärte er, »daß Euch das gelingt, bevor sie
uns finden.«
Tief in den Schächten glommen matte Fackeln, und in
ihrem Schimmer blitzten Zähne und Klauen auf.
Die Skräbolde hockten alle zusammen und fühlten
sich jämmerlich und nutzlos.
Aber Timozel befand sich in bester Stimmung, denn
nun konnte er den Großteil der Greifen zurückzurufen. Er
brauchte sie nicht mehr … jedenfalls zur Zeit nicht. Sie
hatten die ikarischen Kundschafter von seinem derzeitigen Aufenthaltsort ferngehalten, und das war alles, was
er im Moment von ihnen verlangte.
Aber er würde ein paar der Bestien am nördlichen
Himmel belassen.
Ganz so, wie Axis es mit Sicherheit erwartete.
16 D IE
I
NSEL DES
N
EBELS
UND DER
E
RINNERUNG
Aschure lehnte sich in dem Sessel zurück, den die
Matrosen für sie an Deck gebracht hatten. Sie bezweifelte, ob sie sich jemals wieder wohlfühlen würde. Kaum
sieben Monate schwanger, und nur ein Gedanke beherrschte sie: Ab welchem Zeitpunkt konnten die
Zwillinge ohne sie überleben – und ohne jeden Zweifel
stellten die beiden sich die gleiche Frage. Sogar jetzt
bewegten sie sich und trommelten mit den Füßen gegen
ihre Bauchdecke, als träumten sie von Freiheit … oder
sehnten sich nach Flucht.
Die junge Frau legte den Kopf zur Seite und schaute
Sternenströmer an, der gespannt vor Aufregung am Bug
des Schiffes stand. Die leicht gespreizten Flügel auf
seinem Rücken ließen den Schluß zu, daß er sich am
liebsten in die Lüfte erhoben hätte. Seit zwei Tagen
segelten sie nun schon auf dem unruhigen Meer von
Tyrre, und ihr Ziel konnte nicht mehr allzu weit entfernt
sein. Wenn er es denn wünschte, konnte sich Sternenströmer in die Lüfte erheben und die Insel vor Anbruch
der Abenddämmerung erreichen, aber er hatte erklärt, er
wolle bei ihr bleiben, und daran hielt er sich.
Sie hatten Karlon vor vier Tagen auf einem von Isgriffs privaten Schiffen, der ›Robbenhoffnung‹, verlassen. Aschure hatte noch niemals zuvor eine Seereise
unternommen, und wäre sie von der heftigen Übelkeit
verschont geblieben, hätte sie das Erlebnis berauschend
gefunden, dessen war sie sich sicher. Die geräumige,
komfortable ›Robbenhoffnung‹ rollte nicht allzu sehr im
Seegang, und eine warme, salzige und unendlich
wohltuende Brise wehte von Südwesten heran und blähte
die dunkelrosafarbenen Segel. Außer Aschure befand
sich eine Anzahl von Hofbeamten und Dienern an Bord,
eine Staffel der Luftarmada und Prinz Isgriff. Caelum
und sein Kindermädchen, die Rabenbunderin Imibe,
hielten sich derzeit unter Deck auf.
Und selbstverständlich gab es noch die fünfzehn
Alaunt, die auf Deck herumstreunten und nach jeder
Welle schnappten, die es wagte, zu nahe heranzukommen. Manchmal überraschte sich Aschure dabei, wie sie
auf das rhythmische Klatschen der Wellen gegen den
Schiffsrumpf lauschte und, halb in den Schlaf gelullt, von
seltsamen Küsten mit geriffeltem Sand und felsigen
Stränden träumte.
Rivkah hielt sich nach wie vor in Karlon auf und
vertrat dort den Sternenmann und seine Amtsgeschäfte.
Aschure wohnte weiterhin
Weitere Kostenlose Bücher