Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
und die nackten Körper von Menschen und Tieren, deren Knochen aufgeknackt und ausgesogen waren.«
»Die Skrälingsarmee, deren Aufstellung um Jervois
herum wir in Plusternests Vision gesehen haben, mußte
die gesamte Provinz kahlfressen, um sich zu versorgen«,
meinte der Krieger. »Und nachdem sie sich sattgefressen
haben, sind sie irgendwo hin weitergezogen. Belial? Ruft
Ho’Demi und Magariz herbei. Wir werden das Abendessen miteinander teilen … und unsere Gedanken.«
An diesem Abend herrschte eine ernste Stimmung, und
überall im Lager nahmen die Männer ihr Essen ein, ohne
mehr als ein paar Worte zu reden. Axis saß zusammen
mit seinen engsten Befehlshabern um ein kümmerliches
Reisigfeuer. Seine Gemütsverfassung war seit dem Tag
des Aufbruchs nach Norden immer trostloser geworden,
und inzwischen schwieg er fast nur noch.
Irgendwo dort draußen in der gefrorenen Einöde
wartete eine riesige Armee – der seinen zahlenmäßig
mindestens um das Zehnfache überlegen –, und Axis
wußte nicht, wie er sie besiegen sollte, wenn er sie denn
überhaupt finden sollte.
Der Krieger seufzte. Gorgrael konnte schalten und
walten, wie er wollte. Wenn Axis ihn nicht zurückdrängen, wenn er die Kraft nicht aufbringen konnte, diese
wimmelnde Masse von Skrälingen nördlich von ihm –
oder standen sie im Osten? Oder Westen? Oder, die
Sterne mögen dies verhüten, im Süden? – zu besiegen,
dann wäre ihrer aller Leben verwirkt.
Wenigstens Aschure würde sich in Sicherheit befinden.
Sie mußte sich inzwischen auf den Weg nach Süden zur
Insel des Nebels und der Erinnerung gemacht haben, sagte
sich Axis. Aschure und Caelum. Wenn es etwas zu retten
galt, dann diese beiden. Selbst wenn er in der Schlacht
fallen sollte, konnten sie vielleicht den Kampf fortsetzen.
Aber wozu? Wozu?
Er setzte zum Sprechen an, bemerkte dann aber, daß
Ho’Demi bereits das Wort ergriffen hatte.
»Tut mir leid, Ho’Demi, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders«, erklärte er. »Was habt Ihr gesagt?«
Der Rabenbundhäuptling setzte seinen Zinnbecher ab.
»Ich kann Trupps meiner Rabenbundkämpfer nach
Norden schicken, Sternenmann. Die Fernaufklärer
mögen zwar nützlich sein«, er warf eine kurzen Blick auf
Weitsicht, aber der Vogelmann ergötzte sich sichtlich an
dem »nützlich«, »doch sie sind den Greifen schutzlos
ausgesetzt und können es nicht wagen, zu tief in den
Norden vorzudringen, ohne einen Angriff herauszufordern. Meine Kämpfer hingegen lieben solche Bedingungen – wir wurden in sie hineingeboren. Der Schnee ist
unsere Amme, solange wir schreiende Säuglinge sind,
und unsere Geliebte im Mannesalter. Wir können uns die
Verhältnisse nach unserem Willen zunutze machen, und
die Greifen werden uns nie im Leben finden. Kleine
Gruppen unserer Männer vermögen weit in den Norden
vorzudringen, ohne mehr als ein geringes Wagnis
einzugehen. Laßt uns diese Aufgabe übernehmen.«
»Würdet Ihr mit ihnen gehen, Ho’Demi?« fragte Axis.
Er wollte das Leben des Häuptlings nicht aufs Spiel
setzen. »Ihr konntet die Geisterkreaturen nicht davon
abhalten, in Rabenbund einzufallen.«
»Ich schlage doch lediglich vor, Sternenmann, Kundschafter auszusenden und nicht etwa all unsere Leute. Ich
überlasse Euch die Entscheidung. Und … ja, ich würde
mich ihnen anschließen. Mich dürstet danach, gegen
diese Kreaturen vorzugehen, die mir meine Heimat
raubten.«
»Wie schnell könnt Ihr die Kundschaftertrupps zusammenstellen?«
»Bis zum Morgen, Sternenmann. Wo wollt Ihr uns
hinschicken?«
Axis schaute zu Belial und Magariz hinüber. »Wie
lauten Eure Ratschläge, meine Freunde?«
»Verdammt, Axis«, meinte der Fürst. »Wohin können
sie sich zurückgezogen haben?«
»Nach Skarabost«, vermutete Belial.
Der Krieger schüttelte den Kopf und begegnete Weitsichts Blick. »Nein, Belial. In Skarabost haben sich noch
keine Skrälinge blicken lassen, obwohl weite Teile der
Provinz unter tödlichem Frost liegen.«
»Könnten sie einen Bogen um uns herum geschlagen
haben und sich nach Süden bewegen … nach Karlon?«
Magariz zuckte bei Belials Worten zusammen. Rivkah
hielt sich in Karlon auf, genau wie Kassna, und Magariz
wußte, daß Belial sich jetzt ebenso um seine Gemahlin
sorgte wie er sich um die seine.
Axis erschauerte und blies in dem vergeblichen Versuch, sich die Finger zu wärmen, auf seine Hände. »Wir
hätten davon erfahren, wenn sie uns umgangen hätten.
Unsere Kundschafter und
Weitere Kostenlose Bücher