Das Vermaechtnis
wieder an hierhin und dorthin zu zeigen.
„Das pili -Gras, das den Beinen schmeichelt. Die schönen Blüten der milo dort gibt es in verschiedenen Farben, meist rosa, oder weiß wie bei uns in der Nähe. Schau hier, die blaue huehue -Frucht, die Beeren des ohelo scheinen noch nicht reif, die popolo… “
Alēi’na war völlig irritiert. popolo – da hätte sie gern gesagt, dass sie die Blätter schon gegessen hat und auch von den reifen Beeren und dass die kleinen Kinder diese aber nicht essen sollen und dass man aus den Blättern einen Verband bei Hautjucken oder offenen Hautveränderungen herstellen kann und dass das während der Blütezeit gesammelte und getrocknete Kraut bei Magenkrämpfen helfen kann. Aber sie sagt lieber nichts. Schon merkt sie, dass sie durch ihre Gedanken einiges nicht gehört hat – sie seufzt, nicht nur nicht sprechen soll sie, sondern auch ihre stillen Worte sollen ruhig werden! Das scheint ihr schwieriger als das Lernen. Aber ohne das eine geht das andere wohl nicht. Sie sagt kein Wort mehr, versucht, auch an nichts zu denken, läuft hinter dem Kahuna her und lauscht, was er sagt, lauscht der Erde, lauscht den Göttern.
„… Und da oben die holei , lila. Sie ist reif. Das sollten wir den Jungen im Dorf sagen. Sie können sie ernten. Hier eine wunderschöne ulei , riech mal!
Dort hinten ein hala -Baum; das können wir den Jungen auch sagen, aber ich glaube, die Nüsse sind noch nicht reif. Dort drüben ist ein koa -Baum, wichtig für den Bau unserer Kanus…“
Mehr und mehr gelingt es ihr, ihre inneren Worte in die Stille zu verweisen. Sie fühlt sich glücklich bei dem neuen Gefühl. Beinahe ist sie jetzt allerdings wieder durch ihr neues Gefühl abgelenkt, doch in dem Moment erreichen sie den geschützten Strand der Bucht der Fische .
Sie setzt sich und der Kahuna geht zu einem stämmigen Busch mit hellgrünen Blättern und weißen Beeren. Er pflückt eine weiße Blüte.
„Was fällt dir bei dieser Blüte auf?“, fragt er sie.
„Du hast nur eine Hälfte gepflückt.“ Sie sieht suchend zu dem Busch.
„Ja und nein. Die Hälfte, so sieht sie aus, aber sie besteht nur aus dieser einen Hälfte.“
„Oh, wie kann das sein?“ Alēi’na nimmt die Blüte sanft in die Hand und streichelt sie, als würde sie sie trösten wollen.
„Oben in den Bergen wächst ein ähnlicher Busch, die Blätter sind grüner und die Beeren dunkel und seine Form ist auch ein wenig anders – aber – es sind die gleichen Blüten, die auch dort nur als Hälfte wachsen.“
„Wer hat sie getrennt?“, ruft Alēi’na betroffen.
„Wir besingen sie oft in unseren Gesängen über Trennungen von Liebenden. Es ist der naupaka -Busch. Momi und Ikaika wollten immer zusammen sein, sie waren wie eine Seele. Doch Pele war eifersüchtig und in ihrem Zorn trennte sie die beiden. Momi kam hoch in die Berge und Ikaika an die Küste und beide durften sie diese Orte nicht wieder verlassen. Allein hatten sie das Gefühl, nur ein halber Mensch zu sein und in ihrem Schmerz verwandelten sie sich in den naupaka Busch. In der Blüte erkennt man noch heute ihren Schmerz.“
„Natürlich sollen Pu’kon und Nainoa von jedem eine Blüte finden, damit sie sie vereinen können, nicht wahr?“, fragt sie hoffnungsvoll.
„Natürlich, und die beiden zusammen zählen ebenso natürlich als eine Blüte – aber – es ist auch jeder für sich eine ganze Blüte…“, sagt Kahuna - Koī mit einem Lächeln.
„Warum erzähle ich dir von dem naupaka ? Du weißt sicher schon, was naupaka bedeutet…“
„ Nau bedeutet mit den Zähnen zu knirschen und paka bedeutet so viel wie, sich von dem letzten verbleibenden Teil zu trennen.“
„Genau, ich will dir heute helfen, einen Teil deiner Trauer um den Verlust deiner Eltern, um den Verlust deiner Heimat, um das, was du Schreckliches erlebt hast, loszulassen. So viel, wie du möchtest und bereit dazu bist. Wir machen solche Rituale oft, indem wir im Kreis sitzen, der Trauernde zusammen mit nahestehenden Menschen. Für dich ist es neu. Deswegen will ich es dir zeigen. Wir nennen diesen Weg zur inneren Heilung ho'oponopono. Es geht um Verzeihen und Verantwortung. Sich selbst gegenüber.
Hier sind wir unbeobachtet und du bist frei. Wenn du bald einmal den anderen helfen möchtest, ist es wichtig, dass du zunächst selbst mit dir im Reinen bist. Dadurch, dass du lernst, wie du dir selbst helfen kannst, wirst du auch anderen helfen können.
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