Das Vermaechtnis
nach ihr zu sehen, wo sie war, wohin man sie verschleppt hatte, um sie zu suchen, ihr zu helfen. Als er in Ur ankam, hörte er, dass sie zurück sei, und dass sie alles wieder aufbaute. Als er sie dann endlich sah, im Schatten, an die Mauer gelehnt, und sie ihm zuhörte, kehrte langsam wieder Frieden in ihm ein in seine schlaflosen Nächte.
Nach seinen langen Erzählungen erzählt sie ihm, was sie neuerdings bedrückt:
„Es plagen mich Träume. Nachts schrecke ich hoch und kann schwer die Bilder wieder in die Dunkelheit der Nacht zerstreuen. Ich träume von einem Mann mit einer Hörnerkrone, bewaffnet mit Bogen und Streitaxt, groß wie ein Gott, der die gefallenen Feinde in den Bergen mit seinen großen Füßen zertritt. Ein grausamer Überkönig, der die Taten meines Vaters bei weitem übertrifft und mit seinem Hochmut und Überheblichkeit langsam, aber sicher alles wieder vernichtet, wofür mein Vater gekämpft hatte. Alles zerfällt. Der ganze Traum zerfällt in meinem Traum. Wofür das alles, wofür der Kampf, der Krieg, die Toten und das Leid? Sa-La-Na , hör dieses:
Die Zeit der guten Herrscher ist dahin. In Trümmern liegen nun des Landes Städte. Das Wasser der Kanäle wurde bitter. An fremdem Ort steht nun der Königssitz. Wo mag man da gerechten Schicksalsspruch finden? Oh Sumer, Land der Furcht, da Menschen zagen: Der König ging und seine Kinder klagen. [8] Diese Worte lese ich geschrieben in unserer Schrift, geschrieben in rotem Stein! In meinem Traum.
Das Reich zerfällt, die Städte wollen nicht folgen und kämpfen mit aller Macht für ihre Eigenständigkeit. Sie erkennen nicht die Vorteile an, die ein Zusammenschluss bringt, der Austausch an Waren, an Wissen.“ Sie seufzt. „Ich kann es ihnen auch nicht verdenken, sie werden nicht vor die Wahl gestellt, sondern gezwungen…
Das ist der falsche Weg.
Es sind zu viele, zu viele von allen Seiten. Er schafft es nicht und er ist zu grausam. Er hört nicht auf. Es gibt noch mehr Opfer als damals unter meines Vaters Herrschaft. Was hatte das alles für einen Sinn, wenn es nur von solch kurzer Dauer sein soll? Wenn die Menschen nicht eins sind in der Idee. Mit Zwang und Gewalt ist nichts von langer Dauer. Wir haben doch unsere Sprache und können uns mit ihrer Hilfe verständigen und verhandeln und Ideen zusammenbringen…
Ach, für mich ist dies ein ewiger Zwiespalt, auf der einen Seite Gewalt, dann aber doch eine Blüte des Handels und die Belebung der Kultur.
Das Schwierigste für mich ist, immer wenn ich Elieanor-Naram-Sin sehe, den Erben meines Vaters, meinen Neffen, überkommt mich das gleiche Gefühl wie in diesem Traum. Es kann nicht sein, dass er es sein soll, der es noch mehr übertreibt als mein Vater, noch weiter geht über die jetzigen Grenzen hinaus. Und sich vor allem anmaßt, sich selbst zu einem Gottkönig zu erheben. Er geht sogar noch weiter als Ushlaran-Lugal-Ane , dieser niedere Statthalter mit seinen Wahnsinns-Vorstellungen. In meinem Traum nannte er sich König der vier Weltgegenden – König der ganzen Welt! Auch wenn sein Reich an Größe dessen meines Vaters, seines Großvaters, vielleicht sogar noch übertrifft, ist dies doch kein Grund zu solch hochmütigem Denken.
Die Welt ist hinter unserem Reich nicht zu Ende, das wissen wir von den Händlern. Du weißt es, du bist schon so weit gereist. Er nutzt die Gunst der Götter aus, um seine eigene Macht, die Macht auf eine Person zu manifestieren und zu legitimieren. Wenn die folgenden Könige diesem Anspruch auf Universalherrschaft nacheifern – und sie werden es tun – und ist die Macht erst einmal in diesem Stadium angelangt, dann wird die Besessenheit zum Fluch. Der baldige Untergang keimt schon in der Saat!
Elieanor-Naram-Sin war bei mir hier im Tempel. Hier lernte er Schrift und Recht. Es ist nicht lange her, da war er mein Schüler! Er fiel damals schon auf durch seine Kleidung, er liebte Farben, das tut er immer noch, er liebt es bunt. Vor allem leuchtendes Blau. Er trägt noch immer ein Stirnband oder das Stirnband um das Handgelenk gebunden. Er war ein fleißiger Schüler, ehrgeizig, schneller, als alle anderen Kinder, sodass er meist allein unterrichtet wurde. Er sagte nie viel, er schien nur aufzunehmen, mit jedem Atemzug Wissen in sich aufzunehmen. Als verfolgte er da schon ein Ziel, ein einziges Ziel. Und dieses Ziel wird unser aller Untergang! Ich kann und will es nicht glauben! Seine grenzenlose Selbstüberschätzung zu all dem Druck, den er von außen
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