Das Vermaechtnis
Müssen unser Himmelreich und unser Reich der Unterwelt doch sehr verwirrend sein für jemanden, der hier nicht so zu Hause ist, so wie wir. Gepriesen seien wir alle, nun, und alle, deren Interesse für uns entflammt ist!“
Ja, so sind wir, die Götter. Wir können es nicht lassen, uns zu preisen und alles, was mit uns zu tun hat. Das liebten die Tameri so an uns und noch mehr liebten wir es an ihnen.
Jede Stadt hatte ihren eigenen Gott und eigene Götter, jeder Tempel, jede Region, jeder Berufsstand. Wir umsorgten die Menschen, wo wir konnten, und vor allem, wo wir gebührend angebetet wurden. Nur so funktionierte es damals, geben und nehmen, auch mit uns Göttern war das nicht anders. Versprechen, die uns gegeben wurden, mussten gehalten werden. Ansonsten waren wir an nichts gebunden und konnten unserem Willen freien Lauf lassen.
Wir waren wie die Menschen, die uns schufen: gut, böse, erhaben, verrückt, eifersüchtig, beschwichtigend, weise, ungeduldig, geduldig, milde, stark, wütend, liebend, verwüstend, sanftmütig, mütterlich, väterlich, kompliziert, wild, kriegerisch, gerecht, egoistisch, kindisch – endlos könnte ich die alles in allem doch liebenswerten Eigenschaften unseres Gottesstandes aufzählen. Das wichtigste war, wir konnten uns ebenso verlieben, untereinander, aber auch in Menschen, Frauen oder Männer. Himmlischste Leidenschaft und tiefstes, dunkelstes Leid waren da oftmals nah beieinander und konnten von einem Wassermaß zum anderen ins Gegenteil umschwenken.
Doch uns unterschied letztendlich von den Menschen, dass wir untereinander, wie wir schon betonten, nicht lange nachtragend waren und unsere Positionen akzeptierten, die wir innehatten. In den Hochzeiten gab es immerhin nahezu eintausend Götter, einmalige eintausend Götter! Eine spannende Zeit auf ihre Weise.
„Wenn wir nun nicht langsam voranschreiten, werden unsere als Einleitung gedachten Lobpreisungen länger sein als der Hauptteil über wirklich interessante Menschen aus der Zeit von Tameri “, meldet sich wieder Isis , die nun schon fast ungehalten wird, weil es ihr nicht schnell genug vorangeht. Sie sieht Amun mit einem Blick voll fordernder Erwartung an. Diesem Blick kann auch er nicht standhalten. So spricht er eilig:
„Liebste Isis , große Göttin, geht es nicht schon seit vielen Worten um den Menschen, indirekt meine ich, denn ohne die Menschen von Tameri gäbe es die Götter nicht, und schon gar nicht in solch einer reichlichen Auswahl. Ich muss allerdings auch einwenden, dass es ohne die Götter auch die damaligen Tameri nicht gegeben hätte…“
„ Amun-Re !“
Amun-Re zuckt etwas zusammen, lächelnd natürlich, denn er weiß genau, wenn Isis ihn so nennt, dazu noch in diesem unnachahmlich scharfen Ton, gibt es keine Chance auf Ausschweifungen mehr. Aber dieses Spiel mit ihr macht ihm offensichtlich auch Spaß.
„Nach all den wichtigen Lobpreisungen, und wir werden hier und da sicher noch die eine oder andere einfließen lassen, auch wenn gewisse Gottheiten, ihr wisst schon, wen ich meine, das als überflüssig erachten, möchte ich, Amun , oder auch Amun-Re , die Verschmelzung des Sonnengottes Re mit dem Himmelsgott Amun , später auch als den großen Aspekt Aton , aber das ist ein anderes Thema, auch für später…“
Er räuspert sich. Sie wartet ab, denn sie weiß genau, dass er nur versucht, sich um ein für ihn schmerzliches Thema herumzureden.
„…Nun gut, ich weiß, worauf du hinaus willst… Ich möchte beginnen mit einer ganz besonderen Frau, dieser wunderbaren Frau, die ich, Tameri s Hauptgott in dieser Zeit, in mein göttliches Herz geschlossen hatte. Ich beobachtete sie schon als kleines Mädchen. Sie war so neugierig – alles wollte sie wissen, einfach alles. Sie saß auf dem Schoß ihres Vaters und fragte ihn Löcher in den Bauch, redete ihm das Ohr ab, Tag für Tag aufs Neue, sofern er zu Hause war, im Palast des Königs. Gimra-Hatschepsut hieß das kleine bezaubernde Mädchen.
Ganz anders als andere Mädchen war sie, fast wie ein Junge, aber mit ihren mädchentypischen Eigenarten war sie doch eben ein Mädchen. Gimra-Hatschepsut .Sie hatte etwas an sich, das mich faszinierte. Ich verfolgte ihr Leben, wann immer ich Zeit hatte. Natürlich hatte ich viel Zeit.
Was ist Zeit? Für uns Götter ist Zeit eher ein verständnisloses Kopfschütteln. Zeit brauchen die Menschen auf der Erde, damit sie etwas einteilen können, denn das Einteilen lieben sie ja. Sie teilen alles
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