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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
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ein, ihr ganzes Leben und das Leben anderer. Je höher der gesellschaftliche Rang, desto mehr können sie einteilen. Zeit – ja, wir Götter schweifen gern ab mit den Ideen, denn wir haben Zeit, indem sie für uns nicht wirklich existiert.
    So beobachtete ich also ihre Kindheit. Gimra-Hatschepsuts Kindheit.
    Erinnert ihr euch, wie aufgeweckt die Kleine war? Schon als kleines Mädchen begriff sie sehr schnell, was Salana-Imhotep – ihr Lehrer – ihr erklärte, der auch andere Kinder von hochgestellten Personen in der königlichen Residenz westlich von Theben unterrichtete. Sie lernte nicht nur auswendig, sie verstand! Als Salana-Imhotep von der Geschichte der vier Geschwister erzählte, wusste sie sofort, dass es ein großes Unglück bedeutete, als Osiris zerstückelt wurde. Sie stellte erschüttert fest, dass seine Ka - Seele kein Zuhause mehr hätte, ja und die Ba - Seele nun nicht mehr wüsste, wohin sie zurückkehren sollte. Sie wusste, dass Osiris dadurch der endgültige Tod drohte. 
    Sie war erst zwölf Jahre alt, als sie ihrem Vater, den großen König Thutmosis I. , zu einem milden Urteil in Gnade überzeugte. Damals war ich so entzückt von ihrer scharfen und edlen Auffassungsgabe, auch von ihrem Mut, ihrer Tapferkeit und der angeborenen Gewissheit zu Gerechtigkeit.
    Ich beschloss, dieses Mädchen mit solchen Fähigkeiten als meine Tochter anzunehmen. So war es. So ist es auch jetzt noch, auch wenn ich sie in meiner blinden Eifersucht später sehr hart bestrafte.
    Sie konnte nichts dafür, dass ich sie als Tochter und auch als mein Eigentum betrachtete. Meine Eifersucht ging zu weit. Ich konnte fürwahr nicht mehr klar denken, was sie anging. Schon in ihrem ersten Kontakt mit dem kahlgeschorenen Ushlaran-Senenmut verspürte ich im Nachhinein die Saat ihres heimlichen Hintergehens. Selbst, dass er nur zu besonderen Anlässen seine Perücke aufzog, Perücken waren damals üblich, und ansonsten stets kahlgeschorenen Hauptes umherlief, störte mich. Mich störte irgendwann alles an dem armen Mann, erst recht seine Eigenart, dass er stets beim Nachdenken an seinen Hals fasste, als würde er ihn schützen müssen – jedenfalls konnte er überhaupt nichts dafür, dass ich mir dies alles stur einredete.
    Ganz im Gegenteil – später, als mich durch Ma’ats und Isis’ Hilfe, den Göttinnen sei Dank, wieder die Klarheit und der entsprechende Abstand zu den Geschehen in Tameri durchflossen, da erkannte ich, welch ein begabter, vielseitiger, geschickter Planer dieser Ushlaran-Senenmut war. Man merkte ihm an, seine Berufung war sein Leben, durch und durch. Ein Einzelkämpfer, der jede Unterstützung hätte gebrauchen können. Nun, auch ohne meine Unterstützung leitete er Göttliches, das gebe ich zu. Vielleicht hat meine Ablehnung ihn geradezu angespornt, zu seiner Arbeit, von der er fest überzeugt gewesen ist.
    Bei ihrem Vater lernte die junge Gimra-Hatschepsut Ushlaran-Senenmut , den Schreiber, ihre erst später große menschliche Liebe, das erste Mal kennen. Sie rettete sogar sein Leben. Welch ein Edelmut, welch weitsichtige Handlung, doch ich… Oh, verzeiht, immer wieder komme ich darauf zurück. Mich, dem großen Gott der Sonne, des Himmelsreiches, dem Hauptgott des damaligen Tameri , mich plagt seither die Reue, nie passierte mir dergleichen zuvor, nie hernach.“
    Amun-Re bricht kurz ab und seufzt tief.
    Ma’at geht zu ihm und spricht milde:
    „Das ist der Lauf der Geschichte, sie ist rückwirkend nicht änderbar. Du weißt nun, für was dies damals alles gut war. Auch Gimra-Hatschepsut hatte etwas zu lernen, so wie du.
    Doch eines kannst du jetzt noch ändern: Bitte sie um Verzeihung und verzeih auch du ihr, damit ihr Frieden schließen könnt. Es ist an der Zeit!“
    „Danke, große Ma’at , die du die Göttliche Ordnung wiederherstellst. Wir Götter, die wir über alles so erhaben sind, müssen den ersten Schritt gehen. Das werde ich tun. Lange sprach ich nicht darüber, doch nun, durch unser Zusammentreffen zwecks des Rückblicks, meldete sich die lange verdrängte Qual. Als hoher Gott sollte ich darüberstehen, doch es war ein Fehler, den ich einfach nicht so stehen lassen kann und will. Nach menschlicher Zählweise sind es Jahrhunderte, die seitdem vergangen sind. Mir ist, als sei es gestern geschehen. Was ist Zeit, wenn es um Verdrängung geht… Oft schon sah ich sie, auf meiner nächtlichen Fahrt in meiner Barke durch das Reich des Osiris , das Jenseitsland, in der sechsten Stunde, sah ich

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