Das Vermaechtnis
Luft angehalten, so fasziniert waren sie. Mit dem befreienden Ausatmen jubeln sie Aleyna laut zu.
Nach diesen gelungenen Vorführungen lassen sie sich von ihren Delfinen überaus zufrieden mit sich und der Welt an Land ziehen.
Tanobakt und Elieanar , ihre Priesterlehrer warten auf sie. Obgleich sie schon eine Zeit dort auf ihre Schülerinnen und Schüler warten, um ihren Unterricht zu beginnen, lassen sie den Jugendlichen ihre Freude und haben selbst viel Spaß, als sie sie vom Strand aus bei ihren Vorführungen beobachten. Sie erinnern sich gern an die Zeit, als sie dort ihre Morgen verbrachten, übten und einfach Spaß hatten. Diese Stelle ist außerordentlich geeignet, denn es gibt unterschiedliche Höhen zum Hineinspringen, das Wasser ist tief genug und hat zu dieser Jahreszeit eine angenehme Temperatur. So kann jeder in seinem eigenen Tempo üben und langsam höher gehen, wenn er will.
Tanobakt und Elieanor waren beide zu Schülerzeiten auch sehr sportlich, wie die meisten. Beide gehörten zu den Jugendlichen, die sehr gern im Wasser ihre Zeit verbrachten, jedoch eher unter Wasser oder als überaus schnelle Schwimmer, aber nicht unbedingt über dem Wasser. Beide mochten das Springen einfach nicht sehr gern, schon gar nicht aus der für sie schwindelerregenden Höhe. Schwindel kannten sie zwar nicht, doch sie fühlten sich einfach unwohl dort oben, und sie mussten es auch nicht – jeder so, wie er es mochte.
Unglücklicherweise hatte Elieanor lange versucht, dieses Unbehagen vor den anderen zu verstecken und es zu unterdrücken, während Tanobakt von vornherein sagte, bis hierhin und weiter ohne mich. Sie hatte diesen Zeitpunkt verpasst und quälte sich damals sehr, versuchte, ihre Abneigung zu überwinden, denn sie konnte sich dieses Unbehagen auch nicht erklären. So etwas gab es doch auf Cambolia nicht. Sie wusste zwar, dass sie als Baby einmal vom Tisch gefallen war, doch es war nichts weiter passiert außer dem Schrecken ihrer Eltern. Daher konnte es diese Ursache doch nicht sein. Außerdem liebte sie nichts mehr wie Vögel, Berge, Luft. Sie konnte Stunden verbringen und Vögel beim Fliegen zusehen, Möwen, wie sie im Wind schwebten, vor allem an den Klippen, wo sie mit dem Wind zu spielen schienen.
Doch sie selbst, länger in der Luft als nötig, nein, das ging einfach nicht. Sie mogelte damals, als sie die Sprünge übten. Doch eines Tages musste sie sich ihrer Angst stellen. Es war die Zeit der Vorführungen. Einer nach dem anderen zauberte von dem Bogenfels aus wunderbare Sprünge. Sie hielt sich im Hintergrund. Sie ließ einen nach dem anderen vor und hoffte, dass man sie wieder einmal vergessen würde, dass es dann irgendwann zu spät war und sie mit dem Unterricht weitermachen mussten oder dass es zufälligerweise heute ausnahmsweise früher das Essen zur Mittagsstunde gab oder ein unangekündigter Regenschauer ausgerechnet jetzt niederprasselte.
Sie hatte beim Training keinen einzigen Sprung aus dieser Höhe gewagt, in all dem Tumult bei den Sprungtagen war dies nie aufgefallen. So kam für sie unausweichlich dieser Tag. Alle freuten sich, hatten ihren Spaß, aber sie litt. Sie stand dort oben, nun war sie als letzte übrig. Nichts war geschehen, das sie von dieser Last befreit hätte. Alle feuerten sie an, ihre Lehrer riefen ermutigende Worte, doch sie war wie aus Stein, so schwer war ihr zu Mute.
Der einzige, der sie verstand, war Tanobakt . Er kam schließlich zu ihr hoch und hielt sie bei der Hand. „Versuch es, einmal. Ich sehe dir an, dass es ein wunderbarer Sprung wird. Ich weiß, wie es dir geht, Irritationen im Bauch, weiches Gefühl in den Beinen und dann wieder bleierne Schwere, überall.
Elieanor , wenn es aber einfach nicht geht, dann gehen wir gemeinsam hinunter, das ist auch in Ordnung. Du weißt, dass das auch in Ordnung ist. Das gehört nicht zu unseren großen Prüfungen, das hier soll Spaß machen und nicht Qualen bereiten. Keiner will, dass du dich quälst. Das gehört zu deiner ganz persönlichen Prüfung. Stell dich ihr. Du weißt, dass gerade das wertgeschätzt wird. Von allen und von unseren Lehrern.“
Sanft redete er ihr zu und hielt dabei weiter ihre Hände. Die anderen waren schon an den Strand geschwommen und trockneten sich ab. Sie schaute in seine Augen, die sie voller Wärme ansahen. Langsam wurde Elieanor leichter zu Mute, der Druck wich von ihren Schultern.
„Danke, Tanobakt , das werde ich dir nie vergessen!“, sagte sie, drehte sich um.
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