Das Vermaechtnis
des roten Musters gestört, genau wie der Fehlstich.
Mir kam der Gedanke, in den nächsten Tagen vielleicht meinen einstigen Gasteltern und inzwischen guten Freunde Alison und Roy einen Besuch abzustatten. Die beiden waren Experten auf dem Gebiet des Mystischen. Sicher würde sich Alison darüber freuen, wenn ich ihr diese Serviette schenken würde. Sie passte wunderbar zu ihren eigenen und würde sie immer an mich erinnern, wenn …
Entschlossen steckte ich die Serviette und Großmutters Buch in meine Tasche und holte das nächste Teil aus der Kiste. Es war das Geschenk meiner Eltern. Das bunte Papier wirkte fröhlich, und die Schleife war beinahe so groß wie das in meine Hand passende Päckchen.
Meine Mutter hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie es mir überreichte. Aus Angst, gleich heulend neben ihr zu sitzen, hatte ich nur gelächelt, es aber nicht geöffnet. Ich wollte nicht, dass sie denken könnte, ich wäre mir meiner Sache nicht sicher. Ich liebte Payton und wollte nirgendwo sonst sein als bei ihm. Dennoch war mir der Abschied sehr schwergefallen, aber das letzte Jahr hatte mir eines gezeigt –mein Platz war nicht mehr an der Seite meiner Eltern, sondern an Paytons. Unser beider Schicksal war untrennbar miteinander verbunden.
Ich zupfte die Schleife ab und schlug das Papier zurück. Eine kleine Grußkarte mit einer Katze, die in einer Hängematte lag, auf der Vorderseite und eine Schmuckschatulle kamen zum Vorschein. Neugierig öffnete ich sie. Auf einem roten Samtkissen lag ein Paar Ohrringe. Ich nahm einen der Stecker heraus und strich gerührt über die zwei glänzenden weißen Perlen. Die eine etwas kleiner als die andere, waren sie in eine goldene Einfassung gebettet. Es war ein schlichtes Schmuckstück, sehr schön und zeitlos. Ich las die Karte.
Liebe Samantha,
dich loszulassen, fällt mir sehr schwer, bist du doch mein kleines Mädchen und wirst es auch immer bleiben. Ich wünschte, ich könnte immer bei dir sein, aber zumindest in meinem Herzen halte ich dich bei mir, auch wenn dein Lebensweg dich mir entreißt. Ich stelle mir vor, wir wären uns für alle Zeit so nah, wie diese beiden Perlen sich sind. Geh deinen Weg und blicke nicht zurück.
In Liebe,
deine Mum
Die Träne, die mir über die Wange lief, wischte ich nicht fort, sondern gestand ihr zu, auf das Papier zu tropfen. Ahnte meine Mutter, was mir im Kopf herumging? Spürte sie meine Rastlosigkeit? Ich steckte mir die Ohrringe an und trat an den Spiegel. Bewegt legte ich mir die Hände an die Kehle, weil das Schlucken schmerzte. Ich hatte mich doch noch nicht einmal entschieden …
Ich fühlte das verschwitzte Kissen unter mir, mein Nachthemd klebte mir feucht am Körper, und ich hörte mich selbst wimmern. Trotzdem gelang es mir nicht, mich aus meinen Träumen zu befreien. Schwer wie Blei zog es mich in die Bilder meines schlafenden Geistes, auch wenn es sich nicht nach einem Traum anfühlte:
Es war finstere Nacht. Trotzdem stach mir das Rot wie ein Leuchtfeuer in den Augen. Rot – ich versank darin, wie in Treibsand. Es schien mich verschlingen zu wollen, und der warme, kupferne Geruch stieg mir in die Nase: Blut. Ich versank in Blut. Mein gellender Schrei rüttelte an den Grenzen zwischen Traum und Realität, die fest miteinander verschmolzen schienen. Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken, die mich zu beruhigen versuchte – doch es brachte mir keinen Frieden.
„Na endlich, Miss Cameron weilt wieder unter uns. Du solltest dich nicht schlafen legen, wenn du solchen Kummer hast.“
Ich zuckte zusammen. An meiner Bettkante saß Kyle. Paytons Bruder. Kyle, der tot war.
Ich rieb mir die Augen und rückte von ihm ab. Ich zitterte, und der junge Schotte sah mich mitfühlend an.
„Bist du wohlauf?“, fragte er.
Scheiße nein, ich war nicht wohlauf! Ich träumte und wachte einfach nicht auf. Oder sah ich schon Gespenster? Ganz offensichtlich war ich dabei, den Verstand zu verlieren!
Ich fühlte Kyles Hand, die sachte über meinen Rücken fuhr. Es war wie ein kalter Windhauch.
„Komm, Mädchen, leg dich wieder schlafen. Ich wache über dich. Morgen geht es dir bestimmt besser.“
Ich sah Kyle an, wusste, es war nur ein Traum, denn Kyle war nicht mehr am Leben. Und wäre es sein Geist, würde er mir nicht freundlich gesonnen sein, sondern mich hassen. Er würde mich verachten für meine Feigheit oder mich zur Rechenschaft ziehen, weil ich ihn hatte in den Tod laufen lassen.
Aber dieser Kyle an meinem Bett
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