Das Vermaechtnis
Für ihre Liebe? Für ihn? Oder gar für Kyle? Sie hatte am Telefon gesagt, sie hätte etwas Unglaubliches gefunden. Hatte sie entdeckt, wonach sie in Nathairas Büchern gesucht hatte? Gab es einen Weg, Kyle zu retten?
Paytons Herz schlug schneller, sein Puls jagte in bedrohlicher Höhe dahin, und seine Gedanken überschlugen sich. Er hatte seinen kleinen Bruder geliebt und war froh gewesen, dass Vanoras Fluch ihm den Schmerz über Kyles Tod genommen hatte. Noch nach zweihundertsiebzig Jahren war eine Leere in seinem Herzen, dort, wo er das Andenken an seinen Bruder bewahrte.
Aber würde er zulassen, dass Sam sich seinetwegen in Gefahr brachte? Nein! Was immer Sam glaubte, gefunden zu haben, er würde kein Wagnis mehr eingehen und sie oder sich einer weiteren Gefahr aussetzen. Sie hatten für ein Leben genug Leid erfahren und viel zu oft mit dem Tod gerungen.
Er ballte die Hände zu Fäusten und fragte sich, was Kyle wohl sagen würde, wüsste er von seinen Gedanken.
„Sieh nur!“, rief Ashley und deutete auf die ihnen entgegenleuchtenden Rücklichter.
Paytons SUV.
Obwohl das Grauen vor dem Friedhof Payton fest in seinem Griff hielt, fühlte er Erleichterung, als er seinen Wagen dort stehen sah. Er würde Sam nach Hause holen und dann endlich all die ungesagten Dinge zwischen ihnen aus dem Weg räumen. Sie mussten gemeinsam die Vergangenheit begraben und nicht länger den Schatten der Toten über sich schweben lassen.
Noch ehe der Mini ganz ausrollte, öffnete Payton die Tür und sprang heraus.
„Sam!“, rief er, und die Furcht in seiner Stimme verlieh seinen Worten selbst in seinen Ohren einen fremden Klang. Angst war etwas, das er nicht oft empfand. Hilflosigkeit bemächtigte sich seiner, als er keine Antwort auf seinen Ruf erhielt. „Sam, mo luaidh ! Wo bist du?“
Wie das Scheinwerferlicht bei einem Theaterstück setzten die Lichter seines Wagens den nächtlichen Totenacker in Szene. Funkelnd im Tau der abkühlenden Luft strahlten die Grabsteine und der hoch aufragende Obelisk. Ein Gebilde, welches den Himmel und die Erde miteinander verband und zugleich ein Sinnbild für die Strahlen der Sonne war. Dennoch ging von ihm eisige Finsternis aus, die, je länger Payton durch die Gräberreihen ging, drohte, alles zu verschlingen. Die Kälte, die er fühlte, die ihm eine Gänsehaut am ganzen Körper bereitete und ihm bis in die Knochen kroch, war daraus geboren.
„Sam!“
Sein Schrei hallte über das silbrige Gewässer und wurde von den Five Sisters of Kintail zurückgeworfen, die Zeugen seiner vergeblichen Suche wurden.
Jedes Geschöpf in seiner Nähe, jede Spinne, jede silberäugige Krähe in den Wipfeln der Bäume und jede über den nassen Boden kriechende Schlange fühlte seine Not, nur Payton selbst konnte nicht glauben, was sein Gefühl ihm sagte. Er wollte ihren Namen hinausrufen. Sie zwingen, ihm zuzuhören und zu ihm zu kommen, egal, wo sie stecken mochte. Er wollte nicht wahrhaben, was der leere Friedhof ihm in aller Stille offenbarte. Dass es eben jene drückende Stille war, die ihm ins Gesicht schrie „Sie ist nicht hier!“, wehrte er ab, indem er wieder und wieder ihren Namen in die Dunkelheit brüllte, bis er unter Ashleys Berührung zusammenzuckte.
„Payton!“ Sie sah in diesem gespenstischen Licht blass aus, und auch ohne das Unbehagen in ihrem Blick war klar, dass auch ihre Suche vergeblich gewesen war. „Sean hat etwas im Wagen gefunden. Du solltest dir das besser ansehen.“
Sie deutete in Richtung der eingefallenen Friedhofspforte, wo Sean gerade in den Lichtstrahl des SUV trat. Er hatte eine Schachtel im Arm.
„Was ist das?“, rief Payton seinem Bruder entgegen, noch ehe er ihn erreicht hatte, um selbst einen Blick darauf zu werfen.
Sean reichte ihm den Kasten und legte Payton die Hand auf die Schulter.
„Das wird dir nicht gefallen, bràthair “, murmelte Sean und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Silver Highland Swords? Was bedeutet das?”
Sean klappte den Deckel der Kiste auf und deutete auf das leere Kissen, welchem deutlich der Abdruck einer Waffe anzusehen war.
„Sag mir, Bruder, wofür braucht Sam eine Waffe?“
Alle drei standen wie versteinert auf diesem unheilvollen Boden und konnten nicht glauben, was in ihren Köpfen zur Gewissheit wurde.
„Niemals!“
Es war Payton, der leise wie ein Windhauch die Worte aussprach und zugleich wusste, dass er vergeblich leugnete, was hier ganz offensichtlich geschehen war.
Ashleys Hand fühlte sich auf seiner
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