Das Vermaechtnis der Drachenreiter
den rechten Handschuh ab. Die Hand auf die Stirn des Säuglings gelegt, sprach er: »Atra Gülai un Ilian tauthr ono un atra ono Waíse skölir frá Rauthr.« Nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, fühlte er sich seltsam geschwächt, als hätte er einen Zauber verübt. Langsam zog er den Handschuh wieder an und sagte zu der Frau: »Das ist alles, was ich für die Kleine tun kann. Wenn es Worte gibt, die Unglück fern halten können, dann sind es diese.«
»Ich danke dir, Argetlam«, flüsterte die Alte und verneigte sich ungelenk. Sie wollte das Kind wieder zudecken, doch Saphira schnaubte und zog den Kopf zurück, bis er über der Kleinen schwebte. Die Alte war wie gelähmt vor Schreck; ihr stockte der Atem. Saphira senkte vorsichtig die Schnauze und stupste das Kind behutsam mit der Nasenspitze zwischen den Augen an.
Ein Raunen ging durch die Menge, denn an der Stelle, wo sie die Stirn des Kindes berührt hatte, prangte jetzt ein Stern auf der Haut, so silberweiß wie Eragons Gedwëy Ignasia. Die alte Frau starrte Saphira mit fiebrigem Blick an, wortlose Dankbarkeit in den Augen.
Im nächsten Moment flog Saphira los und ließ die ehrfürchtigen Zuschauer im Windstoß ihrer kräftigen Flügelschläge stehen. Während der Boden unter ihnen zurückwich, atmete Eragon tief durch und schlang die Arme um ihren Hals. Was hast du mit dem Kind gemacht? , fragte er sie leise.
Ich gab ihm Hoffnung. Und du hast ihm eine Zukunft gegeben.
Plötzlich fühlte Eragon sich einsam, trotz Saphiras Gegenwart. Ihre Umgebung war so fremd - zum ersten Mal wurde ihm richtig bewusst, wie weit er von zu Hause entfernt war. Ein zerstörtes Zuhause, aber trotzdem seine Heimat. Was ist aus mir geworden?, fragte er Saphira. Ich bin gerade erst ins Mannesalter gekommen und habe bereits den Anführer der Varden getroffen, werde von Galbatorix gejagt und bin mit Morzans Sohn durch die Lande gezogen - und jetzt wollen die Menschen auch noch, dass ich sie segne! Welche Weisheiten kann ich den Leuten denn geben, die sie noch nicht kennen? Welche Heldentaten kann ich vollbringen, die erfahrene Krieger nicht viel besser ausführen würden? Das ist Wahnsinn! Ich sollte eigentlich zu Hause in Carvahall bei Roran sein.
Saphira ließ sich Zeit mit der Antwort, aber als sie sprach, klang ihre Stimme ganz sanft. Du bist ein Junge. Ein Junge, der versucht, sich in der Welt zurechtzufinden. In Jahren gemessen, mag ich jünger sein als du, aber meine Gedanken sind uralt. Mach dir keine Sorgen über diese Dinge. Finde dich damit ab, was du bist und wo du dich befindest. Meist wissen die Menschen ziemlich genau, was sie tun müssen. Du brauchst ihnen nur noch den Weg zu zeigen. Das ist Weisheit. Und was die Heldentaten betrifft - kein Krieger hätte die Kleine so segnen können wie du.
Ach, das war doch nichts, sagte er, nur ein bisschen Theater.
Nein, das war es nicht. Was du gesehen hast, war der Anfang einer neuen Geschichte, einer neuen Legende. Glaubst du, das Mädchen wird damit zufrieden sein, sich in einem Schankhaus oder auf einem Hof zu verdingen, wenn sie auf der Stirn ein Drachenmal trägt und deine Worte über ihr schweben? Du unterschätzt deine Macht und die des Schicksals.
Eragon schmiegte den Kopf an ihren Hals. Das ist alles so überwältigend. Ich komme mir vor, als lebte ich in einem Traum, in dem alles möglich ist. Hin und wieder geschehen wirklich unglaubliche Dinge, das weiß ich, aber sie passieren immer jemand anderem, an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit. Und dann, plötzlich, finde ich dein Ei, werde von einem Drachenreiter unterrichtet und kämpfe gegen einen Schatten - das sind nicht die Taten des Bauernjungen, der ich bin oder der ich war. Irgendetwas verändert mich.
Es ist dein Wyrda, das dich verändert, sagte Saphira. Jedes Zeit-alter braucht seinen Helden - vielleicht fällt dir ja diese Rolle zu. Bauernjungen werden nicht ohne Grund nach dem ersten Drachenreiter benannt. Dein Namensvetter war der Anfang und du bist die Fortsetzung. Oder das Ende.
Ach, seufzte Eragon kopfschüttelnd. Das alles ist mir ein Rätsel ... Aber wenn die Dinge sowieso vorherbestimmt sind, ist dann nicht das, was wir tun, völlig unbedeutend? Müssen wir vielleicht einfach lernen, unser Schicksal anzunehmen?
Eragon, sagte Saphira bestimmt, ich habe dich aus meinem Ei heraus erwählt. Du hast etwas bekommen, wofür die meisten Menschen sterben würden. Macht dich das unglücklich? Hör auf, dich mit solchen Fragen zu
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