Das Vermächtnis der Eszter
das die Jäger, die Fischer. Vater war manchmal monatelang verreist. Bei solchen Gelegenheiten mußten wir ins Internat, zu den Nonnen, die uns erschrocken und gütig in einen ordentlichen Zustand zu bringen versuchten, als hätten sie uns am Straßenrand aufgelesen, als wäre unser Haar zottig vom Urwald, als hätten wir bis dahin mit den Affen zusammen vom Brotbaum gegessen. Es war eben doch eine abwechslungsreiche, farbige Kindheit … Ich will gar nicht klagen. Denk bloß nicht, ich wolle mich über Vater beklagen. Ich habe ihn geliebt, und am meisten mochte ich ihn vielleicht, wenn er von seinen mehrmonatigen Abenteuern zurückkam, ein bißchen zerzaust und völlig ausgepumpt, als hätte er mit den wilden Tieren gekämpft. Für eine Weile war er dann sehr gut zu uns. Er nahm uns am Sonntagmorgen ins Museum mit, dann in die Konditorei und ins Kino. Er verlangte von mir meine Aufgabenhefte, setzte sich das Monokel ein und rügte und belehrte mich ernsthaft … Das war sehr lustig: Vater als Pädagoge, das kannst du dir ja vorstellen!«
»Ja«, sagte ich. »Der Ärmste.«
Aber ich wußte gar nicht recht, mit wem ich eher Mitleid hatte, mit den Kindern oder mit Lajos. Und Éva fragte nicht danach. Sie war offensichtlich in den Erinnerungen versunken. Und sagte dann freundlich und gleichmütig: »Eigentlich lebten wir gar nicht schlecht. Bis dann eines Tages diese Frau gekommen ist.«
»Wer ist das?« fragte ich mit möglichst ruhiger Stimme.
Sie zuckte mit den Achseln: »Das Schicksal«, sagte sie mit spöttisch verzogenem Mund. »Du weißt, die Frau, die im kritischen Augenblick auftaucht. Im letzten Augenblick …«
»In was für einem Augenblick?«
»In dem Augenblick, als Vater zu altern begann. In dem Augenblick, als der Jäger merkt, daß sein Auge nicht mehr scharf ist und seine Hände zittern. Eines Tages ist Vater erschrocken.«
»Wovor?«
»Vor dem Alter. Vor sich selbst. Eszter, es gibt nichts Traurigeres, als wenn ein solcher Mensch alt wird. Da kann über ihn herfallen, wer will.«
»Was hat sie mit ihm gemacht?«
Wir redeten flüsternd wie zwei Verschwörerinnen.
»Sie hat Macht über ihn.«
Dann fügte sie hinzu: »Wir schulden ihr Geld. Hast du gehört, daß ich ihn heiraten werde?«
»Ihren Sohn?«
»Ja.«
»Liebst du ihn?«
»Nein.«
»Warum heiratest du ihn dann?«
»Ich muß Vater retten.«
»Was weiß er über ihn?«
»Etwas Ungutes. Er ist im Besitz von Wechseln.«
»Liebst du einen anderen?«
Sie sagte nichts und betrachtete ihre rosarot lackierten Fingernägel. Dann sagte sie ruhig und reif: »Ich liebe Vater. Auf der Welt gibt es zwei Menschen, die Vater lieben: du, Eszter, und ich. Gábor zählt nicht, er ist völlig anders.«
»Du willst ihn also nicht heiraten?«
»Gábor ist viel ruhiger«, sagte sie ausweichend. »Er ist irgendwie eingeschlossen in einer Art Taubheit. Er will nichts hören, und er scheint auch nicht zu sehen, was um ihn herum geschieht. Er wehrt sich auf diese Art.«
»Gibt es jemanden«, fragte ich und trat näher an sie heran, »den du liebst, und wenn man die Dinge … irgendwie … in Ordnung bringen könnte … was nicht leicht ist … ich bin arm geworden, das mußt du wissen, Nunu, Laci und ich sind arm … Aber vielleicht weiß ich jemanden, der helfen könnte.«
»Du könntest durchaus helfen«, sagte sie wieder selbstsicher, mit jener kalten Stimme. Aber sie blickte mir schon eine Weile nicht in die Augen. Sie hatte das Fenster im Rücken, ich sah ihr Gesicht nicht. Nach dem Essen hatte sich der Himmel bewölkt, mit dicken dunkelgrauen Septemberwolken. Das Zimmer war dämmrig. Ich ging ans offene Fenster und machte es zu, als hätte man befürchten müssen, in der schweren Stille des auf Regen wartenden Gartens stehe jemand und lausche.
»Du mußt es mir sagen«, drängte ich, und mein Herz klopfte so seltsam, wie es schon lange, vielleicht seit der Nacht, in der Mutter starb, nicht mehr geklopft hatte. »Wenn du jemanden hast, den du liebst, wenn du weg willst von diesen … du und dein Vater … Wenn man mit Geld etwas ausrichten kann. Sag es jetzt.«
»Ich glaube, Eszter«, sagte sie gesenkten Blickes und mit der unschuldigen Stimme eines Schulmädchens, »mit Geld, ich meine, mit Geld allein kann man nichts mehr machen. Es braucht auch dich dazu. Aber davon weiß Vater nichts«, sagte sie rasch und fast erschrocken.
»Wovon?«
»Davon … was ich gesagt habe.«
»Was willst du?« fragte ich laut und ungeduldig.
»Ich will
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