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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Vater retten«, sagte sie monoton.
    »Vor denen da?«
    »Ja.«
    »Und dich selbst?«
    »Wenn’s geht.«
    »Du liebst ihn nicht.«
    »Nein.«
    »Willst du weg?«
    »Ja.«
    »Wohin?«
    »Ins Ausland. Weit weg.«
    »Wartet jemand auf dich?«
    »Ja.«
    »Ja«, sagte ich erleichtert und setzte mich erschöpft hin. Ich preßte mir die Hände aufs Herz. Wieder schwindelte es mir, wie immer, wenn ich aus der Welt des Wartens und Beobachtens, aus dem Bereich der Schatten hinaustrete, um der Wirklichkeit zu begegnen. Wieviel einfacher ist die Wirklichkeit! Éva liebt jemanden, sie will zu ihm, sie will ehrlich und anständig leben. Und ich muß ihr helfen. Ja, mit allem, was ich habe.
    Ich fragte fast schon gierig: »Was kann ich tun, Éva?«
    »Vater wird es dir sagen«, antwortete sie mühsam, als schämte sie sich. »Er hat einen Plan … Ich glaube, sie haben einen Plan. Du wirst es hören, Eszter. Das ist eine Angelegenheit zwischen ihnen und dir. Mir aber kannst du auch sonst noch helfen, wenn du willst. Es gibt hier im Haus etwas, das mir gehört. Soviel ich weiß, gehört es mir … Entschuldige, wie du siehst, bin ich rot geworden. Es ist sehr schwer, davon zu sprechen.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte ich und spürte, wie meine Hände kalt wurden. »Woran denkst du?«
    »Ich brauche Geld, Eszter«, sagte sie jetzt roh und angriffslustig. »Ich brauche Geld, um weggehen zu können.«
    »Ja, sicher«, sagte ich ratlos. »Geld … Etwas Geld kann ich dir wohl beschaffen. Nunu wahrscheinlich auch … Vielleicht rede ich mit Tibor. Aber höre, Éva«, sagte ich auf einmal ernüchtert und hilflos, »ich fürchte, es ist sehr wenig, was ich beschaffen kann.«
    »Ich brauche dein Geld nicht«, sagte sie überheblich. »Ich will nichts, das mir nicht gehört. Ich will nur das, was mir Mutter hinterlassen hat.«
    Sie sah mir auf einmal mit einem brennenden, fordernden Blick ins Gesicht: »Vater hat mir gesagt, daß du mein Erbe aufbewahrst. Das ist das einzige, das mir von Mutter geblieben ist. Gib mir den Ring zurück, Eszter. Jetzt gleich. Den Ring, hörst du?«
    »Den Ring, ja«, sagte ich.
    Éva stand so drohend vor mir, daß ich zurückwich. Zufällig kam ich vor den Schrank zu stehen, in dem ich den gefälschten Ring aufbewahrte. Ich hätte nur nach hinten zu greifen, die Schublade aufzuziehen und den Ring, den Vilmas Tochter in einem solchen Ton und so haßerfüllt von mir forderte, zu überreichen brauchen. Ich stand hilflos da, mit verschränkten Armen, und war entschlossen, das Geheimnis von Lajos’ Niederträchtigkeit nicht zu verraten.
    »Wann hat dir dein Vater von dem Ring erzählt?«
    »Letzte Woche«, sagte sie schulterzuckend. »Als davon die Rede war, daß wir herkommen würden.«
    »Hat er auch auch etwas vom Wert des Ringes gesagt?«
    »Ja. Er hat ihn einmal schätzen lassen. Damals, vor vielen Jahren, nach Mutters Tod … Bevor er ihn dir übergeben hat, war der Ring geschätzt worden.«
    »Und? Wieviel ist er wert?« fragte ich ruhig.
    »Viel«, sagte sie mit einer seltsamen Heiserkeit in der Stimme. »Tausende. Vielleicht sogar zehntausend.«
    »Ja«, sagte ich.
    Dann sagte ich und staunte selbst über meine hochmütige Ruhe: »Diesen Ring, mein Liebes, bekommst du aber nicht.«
    »Ist er weg?« fragte sie und musterte mich von oben bis unten. »Ist er weg, oder willst du ihn nicht hergeben?«
    »Diese Frage beantworte ich nicht«, sagte ich und schaute in die Luft. In dem Augenblick spürte ich, daß Lajos, wie üblich mit theatralisch schwebenden Schritten, geräuschlos ins Zimmer getreten war und in unserer Nähe stand.
    »Geh hinaus, Éva«, hörte ich seine Stimme. »Ich muß mit Eszter sprechen.«
    Ich drehte mich nicht um. Es brauchte lange, bis Éva, mich mit mißtrauischen, dunklen Blicken musternd – wobei sie ganz besonders an Vilma erinnerte –, langsam die Tür erreichte, von dort noch einmal zurücksah, dann mit den Schultern zuckte und rasch und wütend verschwand. Die Tür allerdings machte sie leise zu, als wäre sie sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Eine Zeitlang standen wir im Zimmer, ohne einander zu sehen, dann wandte ich mich um, und mir wurde klar, daß ich mich zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren mit Lajos allein in einem Zimmer befand.

16

    Er schaute mich an, mit einem seltsamen, bescheidenen Lächeln. »Na, siehst du, das ist alles gar nicht so schlimm«, so etwas schien es zu sagen. Es hätte mich nicht überrascht, wenn er sich die Hände gerieben hätte wie ein

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