Das Vermächtnis der Eszter
zufriedener Kaufmann, der nach einem besonders günstigen Geschäftsabschluß mit seiner Familie allein bleibt und in aufgekratzter Stimmung neue Pläne schmiedet, noch bessere, noch einträglichere Unternehmen in Aussicht stellt. Von Beschämung oder Befangenheit keine Spur auf seinem Gesicht. Er war bester Laune, heiter wie ein Kind.
»Ich habe ausgezeichnet geschlafen, Eszter«, sagte er zufrieden. Wie jemand, der endlich wieder zu Hause ist.
Da ich nichts sagte, nahm er mich beim Arm, führte mich zu einem Lehnstuhl und bat mich höflich, Platz zu nehmen.
»Jetzt kann ich dich endlich richtig anschauen«, sagte er zärtlich. »Du hast dich nicht verändert. In diesem Haus ist die Zeit stehengeblieben.«
Mein Schweigen störte ihn überhaupt nicht. Er ging auf und ab, sah sich ein wenig die Photographien an und strich manchmal mit einer abgeschmackten Künstlergebärde seine dünn und grau werdende Mähne zurück. Er ging völlig unbeschwert im Zimmer umher, als wäre er nur eben – fünfundzwanzig Jahre zuvor – hinausgerufen worden und jetzt wieder da, um das Gespräch, ein bißchen zerstreut, mehr der Ordnung halber, fortzusetzen. Er hob ein altes venezianisches Trinkglas vom Tisch und betrachtete es wohlgefällig.
»Das hast du von deinem Vater bekommen, zum Geburtstag. Ich erinnere mich noch«, sagte er liebenswürdig.
»Wann hast du den Ring verkauft?«
»Den Ring?«
Er blickte nachdenklich und aufmerksam zur Decke. Sein Lippen bewegten sich lautlos, als zählte er.
»Ich weiß gar nicht mehr«, sagte er freundlich.
»Doch, doch, Lajos«, sagte ich ermunternd, »versuch dich zu erinnern. Es kommt dir bestimmt wieder in den Sinn.«
»Den Ring, den Ring«, sagte er mit einem kleinen, liebevollen Kopfschütteln, als würde er eine Marotte, eine grillenhafte, bedeutungslose Neugier gern befriedigen, wenn er könnte. »Tja, wann hab ich ihn denn verkauft? Ich glaube, ein paar Wochen vor Vilmas Tod. Du weißt ja, da brauchten wir so viel Geld … Für die Ärzte, für den Alltag … Ja, es muß in dem Jahr gewesen sein.«
Und er schaute mich lächelnd und strahlenden Blickes an.
»Aber warum interessiert dich der Ring, Eszter?«
»Und dann hast du mir die Kopie gegeben. Weißt du noch?« Ich trat zu ihm hin.
»Habe ich sie dir gegeben?« sagte er mechanisch und machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. »Mag sein. Wirklich, habe ich sie dir gegeben?«
Er lächelte noch immer, wenn auch ein bißchen verunsichert. Ich ging zum Schrank, machte die Tür auf und holte mit einem sicheren Griff den Ring hervor.
»Erinnerst du dich immer noch nicht?«
»Doch«, sagte er leise. »Jetzt erinnere ich mich.«
»Den Ring hast du verkauft.« Ich sprach selbst unwillkürlich leiser, so wie man von den Dingen spricht, für die man sich zutiefst schämen und die man vielleicht sogar vor Gott verbergen muß. »Und als wir von der Beerdigung nach Hause kamen, hast du ihn mir mit großer Geste überreicht: Da, Vilmas Erbe, der einzige Wertgegenstand der Familie, nur dir gebührt er. Ein bißchen habe ich sogar gestaunt. Und ihn nicht haben wollen, weißt du noch? Und dann habe ich ihn doch angenommen und versprochen, ihn aufzubewahren und Éva zu geben, wenn sie erwachsen ist und ihn braucht. Erinnerst du dich noch immer nicht?«
»So, das hast du versprochen?« fragte er leichthin. »Dann gib ihn ihr doch, wenn sie ihn haben will«, sagte er nachlässig. Er begann umherzulaufen, und er zündete sich eine Zigarette an.
»Letzte Woche hast du Éva erzählt, daß ich den Ring für sie aufbewahre. Sie braucht Geld; sie will den Ring verkaufen. In dem Augenblick aber wird sich herausstellen, daß er gefälscht ist. Selbstverständlich kann nur ich es gewesen sein, die ihn gefälscht hat. So ist das«, sagte ich heiser.
»Warum?« fragte er höchst erstaunt. »Nur du? Es kann auch jemand anders gewesen sein. Vilma zum Beispiel.«
Wir schwiegen.
»Wo sind deine Grenzen, Lajos?« fragte ich.
Er betrachtete blinzelnd die Asche seiner Zigarette.
»Was ist das für eine Frage? Was für Grenzen?« fragte er unsicher.
»Was für Grenzen? Ich denke, jeder Mensch hat innere Grenzen, die dem Guten und dem Bösen ihr Maß geben. Überhaupt allem, was zwischen Menschen möglich ist. Du aber hast keine Grenzen.«
»Das sind so Wörter«, sagte er und winkte scheinbar gelangweilt ab. »Grenzen, Möglichkeiten. Gut und Böse, das sind doch bloß Wörter, Eszter.«
»Hast du schon daran gedacht«, fuhr er fort,
Weitere Kostenlose Bücher