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Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Feen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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krank?«, fragte sie leise.
    »Krank?« Ednas Mund trug ein fadenscheiniges Lächeln wie ein schlecht sitzendes Kleidungsstück. »Nein, es ist nur dieses Script  … Es war ein Fehler, den Auftrag anzunehmen.« Sie erhob sich und pustete die Kerze aus. »Zieh dir was über, Liebes! Wir gehen runter in die Halle. Vielleicht sollten wir den Sturm heute besser unter Menschen abwarten.«
    Amy konnte sich nicht erinnern, jemals einen Tornado in der Eingangshalle verbracht zu haben. Eigentlich gehörte es zu den vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen, dass die Bewohner der oberen Stockwerke bei Tornados nach unten gingen, um Verletzungen durch berstende Fenster vorzubeugen. Doch an diese Vorschrift hielten sich die wenigsten. Amy hatte darüber nie groß nachgedacht, es war ja auch noch nie etwas passiert. Der beunruhigende Gedanke umklammerte sie, dass Edna etwas ahnte, etwas, das sie lieber für sich behielt, um sie nicht zu erschrecken.
    Ihre Großmutter hatte in ihrem Leben immer wieder Vorahnungen gehabt, die sich tatsächlich bewahrheiteten. Eine betraf Amy besonders. Damals, bei dem schrecklichen Unglück, bei dem ihre Eltern umgekommen waren, hatte Edna im Augenblick der Katastrophe einen unbeschreiblichen Schmerz gespürt, der ihr bis heute so gegenwärtig war, dass sie manchmal noch darüber sprach.
    Bedrückt ging Amy in ihr Zimmer und schlüpfte in die Kleider. Das diffuse Angstgefühl ergriff zunehmend Besitz von ihr und schwoll mit der Kraft des Sturms, der sich ebenso wenig bändigen ließ.
    Ehe sie die Wohnung verließen, schloss Edna sie in die Arme. »Merk dir eines, Liebes!«, sagte sie mit ernster Stimme. »Bedenke stets des Wortes Macht, und nutze es nie unbedacht! Und folge immer deinem Herzen!«
    Damit entließ sie ihre Enkelin aus der Umarmung und öffnete die Tür. Warum drückte sich ihre Großmutter ausgerechnet jetzt so weihevoll und rätselhaft aus? Verwirrt folgte Amy ihr ins Treppenhaus. Bei einem Tornado mied man den Lift besser. Jederzeit konnte der Strom ausfallen und dann steckte man womöglich für Stunden fest. Die Sirenen schrillten wieder los. Draußen blitzte und donnerte es, das Unwetter musste genau über ihnen stehen. Selbst durch die dicken Wände des alten Gebäudes drang das Tosen, das Aufschlagen umherfliegender Gegenstände. Und wieder glaubte Amy, aus dem Getöse ihren Namen zu hören. Und wieder verwünschte sie ihre lebhafte Fantasie, die ihr diesen grausigen Streich spielte.
    Sie waren schon im Erdgeschoss und wollten eben den Gang zur Halle betreten, als das Licht erlosch und ein wahrhaft höllisches Spektakel losbrach.
    Mit einem wütenden Knall sprang die schwere Metalltür zur Straße auf. Ein tintenschwarzer Wasserfall peitschte ins Treppenhaus. Und mit ihm eine Wolke derart widerlich faulen Schwefelgestanks, dass Amy fast ohnmächtig wurde. Gewaltiges Lärmen, schauriges Gelächter und Hufgetrappel übertönten das Toben des Sturms. Mit einem Aufschrei versuchte Amy, die Klinke zu erreichen, als ihre Großmutter sie von der Tür wegriss und unsanft ins Treppenhaus stieß. Pitschnass und am ganzen Leib zitternd presste sich Amy an die Wand, während sich Edna mit aller Kraft, die ihr zierlicher Körper aufbringen konnte, gegen die Luft- und Wassermassen stemmte, um die Tür zu schließen. Mit einem unbeschreiblichen Dröhnen, das Amy in die Magengrube fuhr, fegte eine Bö herein, packte Edna, zielsicher und schnell, wie man eine Fliege fängt, und wirbelte sie mit sich fort.
    »EDNAAAAAA!«
    Amys Schrei versank im entsetzlichen Wüten des Tornados. Verzweifelt, ja wahnsinnig vor Angst klammerte sie sich am Türstock fest. »EDNAAAAAA!« Wieder und wieder brüllte sie den Namen ihrer Großmutter in die tobende Nacht, bis Sturm und Regenflut ihr den Atem nahmen und sich alles im Rachen der Dunkelheit verlor.
     
    Der Wind säuselte durch das Sommergrün der Weide, die Hunde tobten ausgelassen über den Platz. Nur langsam fand Josie aus Amys Albtraum in diese freundliche Gegenwart zurück. Sie wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab. »Wie furchtbar!«, murmelte sie.
    Amy richtete sich gequält auf, als lasteten die schrecklichen Erinnerungen wie Felsgestein auf ihrem Rücken. Sie starrte ins Nichts. Tränen rannen über ihr Gesicht, stumme, schwarzgraue Kajaltränen.
    Josie strich ihr schüchtern über die Schulter. Die zarte Berührung holte nun auch Amy zurück, sie atmete tief. Josie sah sie befangen an. Stumm kramte sie ein Taschentuch hervor und

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