Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
et les mystères …«, drang es aus dem Mund des Sklaven. Es war gebrochenes Französisch, das wie eine Drohung klang.
Die Toten und die Geheimnisse.
Einem Tier in der Falle gleich versuchte Éloise zu entkommen. Sie zog und zerrte, aber es nützte nichts, sein Griff um ihre Arme verstärkte sich nur, und je mehr sie zog, desto fester packte er sie. Niemand um sie herum schien von ihnen Notiz zu nehmen, niemand kam ihr zu Hilfe oder schaute sie auch nur an.
Als wären sie unsichtbar.
Ein Schrei löste sich aus ihrer Kehle; Tanguys Namen – immer wieder stieß sie ihn aus, in der verzweifelten Hoffnung, dass er sie hören würde.
Ihre Hand tastete nach der durchstochenen Münze, die sie an einer goldenen Kette um den Hals trug und die das letzte Geschenk ihrer Mutter gewesen war. Ohne es zu merken, hielt sie dem Schwarzen die Münze mit dem Königsprofil entgegen, wie ein Kreuz, das vor Dämonen schützen sollte.
Da endlich ließ er sie los, doch nur, um selbst nach seiner Kette zu greifen und sie sich mit diesem furchtbaren Klappern über den Kopf zu zerren.
Wütend schüttelte er Éloise die Faust entgegen, sodass sie das Ende der Kette beinahe im Gesicht traf. Dabei bewegten sich seine Lippen weiter in einem zornigen Crescendo. Erschrocken taumelte Éloise nach hinten. Sie stürzte, hob die Hände, um sich vor den stampfenden Füßen zu schützen, und zog die Knie an, während sich der Kreis der tanzenden Leiber noch enger um sie schloss und die Trommeln immer wieder zu ihrem hypnotischen Rhythmus ansetzten.
Tam-tam-tam.
Éloise kam es vor, als würde sich ihr Mieder von selbst noch enger um sie schnüren. Die Luft blieb ihr weg und die Fischbeinstangen des Mieders drückten unnachgiebig auf die Lunge. Am Rand ihres Gesichtsfeldes blitzten Sterne auf, gefolgt von Schwärze, die von den Seiten näher kroch, während das dumpfe Schlagen der Trommeln und der Gestank nach Rum Éloise in die nahende Ohnmacht begleiteten …
Doch plötzlich wurde sie fortgerissen, Arme umfassten sie und hoben sie hoch. Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, denn unter den Fingern spürte sie das weiche Leder einer alten, abgetragenen Weste.
»Tanguy«, flüsterte sie und hörte noch, wie er antwortete: »Ich bin hier«, bevor die Schwärze sie gänzlich eingeholt hatte und sie dankbar in ihr versank. Jenseits der dunklen Wand war das Schlagen der Trommeln nicht mehr zu hören …
Le Cap 1789
1
Nur wenige Tage nach ihrer Ankunft auf der Insel Saint-Domingue durchzogen Éloises dunkelbraunes Haar bereits von der Sonne ausgebleichte Strähnen. Die in Locken gelegte Frisur war einem einfachen Knoten gewichen, doch selbst darunter bildete sich noch Schweiß und floss ihr den Nacken hinunter. Inzwischen sah sie aus, als hätte jemand ihre Haut mit Eigelb eingestrichen, denn genau wie Brote im Ofen hatte sie unter der Gluthitze Farbe angenommen.
Nach nur einer Woche auf dieser Insel am Ende der Welt erkannte sie sich im Spiegel kaum wieder.
»Wenn das so weitergeht, werdet Ihr eines Tages genauso aussehen wie Honoré«, sagte Tanguy, der Vertraute ihres Vaters, als er bemerkte, wie sie sich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die Wange fuhr und in dem alten, beschlagenen Spiegel die seltsamen Veränderungen betrachtete, die die Sonne mit ihr anstellte.
Irritiert blinzelte sie. »Glaubst du wirklich, dass wir irgendwann so werden wie diese Schwarzen?«, fragte sie. Ihre Erzieherin, Madame Cigny, hatte zwar behauptet, dass es nicht möglich sei, die Hautfarbe zu wechseln, aber wer wusste schon, was in diesem seltsamen Land alles geschehen konnte.
Lachend hob Tanguy den letzten Koffer auf, um ihn nach unten zu tragen. »Ich glaube nicht, dass Ihr Euch darüber Gedanken machen müsst, Éloise. Wenn es so wäre, müssten ja auch die Herren aus der Kolonialversammlung bereits schwarz bis zu ihren Nasenspitzen sein.«
In seinen breiten Händen sah der große Reisekoffer aus, als würde er nichts wiegen, dabei lagen in ihm das tragbare Fernrohr, mit dem Éloise seit Jahren die Sterne beobachtete, die Planetenmaschine und das Tafelsilber der Familie de Bouillé, das sie aus Frankreich mitgebracht hatten. Als er den Raum verließ, musste er sich bücken, um nicht am Türrahmen anzustoßen. Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, hatte sich sein Hemd am Rücken bereits vom Schweiß dunkel gefärbt und das dunkelblonde Haar klebte ihm in feuchten Strähnen im Nacken. Von ihnen allen
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