Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
ertrug er die Hitze trotzdem am besten, denn als er noch zur See gefahren war, hatte er auch die Länder auf dieser Seite des Ozeans kennengelernt; für ihn war die sengende Sonne eine alte Bekannte, die über die Jahre nichts an Kraft verloren hatte.
Lediglich die Stirn wischte er sich hin und wieder mit seinem roten Taschentuch ab und sein Hemd war weiter aufgeknöpft, als er es daheim in Frankreich des Anstandes wegen gewagt hätte. Darunter kam die gezackte Narbe über seinem Herzen zum Vorschein, die er bei einer Messerstecherei im Hafen von La Rochelle davongetragen hatte – halb verdeckt vom Bild des heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Seeleute, das mit Tinte in Tanguys Haut gestochen war.
»Ein Halunke von einem Seemann«, flüsterte Éloise in die Stille des leeren Raums und wiederholte damit nur die Worte, die ihr Vater gern scherzhaft für seinen treuesten Diener verwandte.
Seit siebzehn Jahren stand Tanguy im Dienst der de Bouillés, und als Éloises Vater nach dem Tod ihrer Mutter beschlossen hatte, in die Kolonien aufzubrechen, war Tanguy dem Marquis auch dorthin gefolgt. Zum Glück, wie es schien, denn bereits kurz nach ihrer Ankunft auf dieser seltsamen Insel hatte er Éloise gerettet, nachdem sie mitten hinein in eine Calenda geraten war. Eines jener wilden Feste, die die Schwarzen auch in der Öffentlichkeit veranstalteten und mit denen sie ihre Geister, die Loa , ehrten. Das Ganze war ein entsetzliches Spektakel gewesen, und beim Gedanken daran, was hätte passieren können, schauderte Éloise.
Noch immer klangen ihr die zornigen Rufe des Schwarzen mit der Schädelkette in den Ohren, und wenn sie die Augen schloss, sah sie die klappernden Tierschädel vor sich. In seinem Gesicht hatte sie kein Mitgefühl gesehen, nur lodernde Wut – und die hatte ihr gegolten.
Nach diesem Vorfall war sie nicht mehr aus dem Haus gegangen. Während sich ihr Vater in der Kolonialversammlung den anderen Grand Blancs vorstellte, um Kontakte für zukünftige Geschäfte zu knüpfen, beobachtete Éloise vom Fenster aus die Stadt, die sich wimmelnd und lautstark unter ihr ausbreitete. Stundenlang lauschte sie den Stimmen, die an ihr Ohr drangen, während die Schatten an den Wänden länger wurden und seltsame Figuren bildeten. Ganze Landschaften entstanden dort auf den Tapeten im roten Licht der vergehenden Nachmittagsstunden; manchmal der bretonische Wald mit seinen hohen Bäumen und manchmal die Straßen von Nantes, die Éloise so gut kannte. Dann hatte sie für einen Moment lang wieder den Geruch von Asche, Parfüm und Färbemittel in der Nase gehabt.
Wenn sie aber blinzelte und in die Wirklichkeit zurückkehrte, hatte stattdessen das Meer die Luft von Saint-Domingue mit seinem Geruch erfüllt, ebenso wie die taufeuchte Erde und die schweren Orangenblüten. Das Klackern der tausenden Absätze auf den Straßenpflastern von Nantes war hier nur noch eine ferne Erinnerung. Viele Bewohner von Le Cap, von denen die meisten Mulatten und Schwarze waren, liefen barfuß über die Wege aus festgestampfter Erde, und dieses stetige Patt-patt-patt nackter Füße erinnerte Éloise an die Trommeln der Sklaven.
Sie hatte so viele Stunden an diesem Fenster verbracht, dass sie inzwischen sogar erkennen konnte, wer gerade von Bord eines Schiffes kam und wer schon mehrere Monate auf der Insel lebte. Ganz gleich, welcher Schicht sie angehörten, mit der Zeit machten sich die Kolonisten alle jenes eingefärbte Französisch zu eigen, in das sich kreolische Sprachfetzen mischten, und auch ihr Gang passte sich dieser Melodie an. Er wurde weicher und wiegender.
Obwohl Tanguy ihr versicherte, dass sie mit ihm an ihrer Seite auf den Spaziergängen sicher sei, konnte sich Éloise nicht überwinden, noch einmal in das Gewühl der Stadt einzutauchen. Die engen Gassen von Le Cap bedrückten sie genauso wie die Gedanken an daheim.
Seufzend sah sie sich ein letztes Mal in dem kleinen Zimmer um. In dem Salon stand nun nichts mehr außer einem blauen Sofa und einer Kommode mit Spiegel.
Beides gehörte dem Besitzer des Hauses, einem gewissen Monsieur Robert, der vor fünfzehn Jahren in die Kolonien gekommen war und es offenbar verstanden hatte, sein Glück zu machen. Er besaß im französischen Teil der Insel mehrere Häuser, von denen er ihnen eines für die Dauer ihres Aufenthaltes in Le Cap überlassen hatte. Gegen eine unverschämte Summe Gold, verstand sich. Aber Éloises Onkel hatte Monsieur Robert in seinen Briefen
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