Das Vermächtnis der Feuerelfen
König verhandeln zu können, wenn die Wesen der Anderwelt Tamoyen und das Zweistromland nach vielen Wintern wieder bedrängten.«
»Eine Verzweiflungstat also.« Caiwen nickte und fragte: »Und? Hatte sie Erfolg?«
»Ja und nein.« Finearfin seufzte. »Der Elfenkönig ließ sich nicht erpressen, aber der König Tamoyens war angesichts der Dämonen und Nachtmahre, die im Land ihr Unwesen trieben, so verzweifelt, dass er sich auf einen Handel einließ. Es ist bis heute nicht bewiesen, aber es geht das Gerücht, dass er Nimeye versprach, die Hohepriesterin der Elfen zu entführen und sie im Austausch für die Statue zur Feuerinsel zu bringen. So kam es vor fünfzehn Wintern zu jenem folgenschweren Überfall, bei dem deine Mutter verschleppt wurde und der sie letztendlich das Leben kostete. Sie hat die Feuerinsel nie erreicht.« Sie verstummte und blickte Caiwen an, als würde sie um Verzeihung bitten, als sie hinzufügte: »Die Götter des Waldes sind meine Zeugen, dass ich mich damals am liebsten sofort auf die Suche nach ihr gemacht hätte. Aber das Schicksal wollte es anders. Der Krieg hat mich aufgehalten.«
»Krieg?«, riefen Caiwen und Heylon wie aus einem Mund. »Welcher Krieg?«
»Der Krieg zwischen den Tamoyern und den Elfen«, erklärte Finearfin. »Ein sinnloser und blutiger Krieg, der nach Elethiriels Entführung aufflammte. Die Kämpfe forderten auf beiden Seiten viele Opfer und brachten keinen Sieger hervor.«
»Warum ist niemand zur Feuerinsel gefahren und hat versucht,
die Statue von dort zurückzuholen?«, wandte Heylon ein. »Wenn die Elfen dort in der Minderzahl und geschwächt sind, wäre das doch das Einfachste gewesen.«
»Da irrst du dich.« Finearfin schüttelte den Kopf. »Die Mächte der Erde mögen für die Elfen dort verheerende Wirkung haben, aber Nimeye hat auch gelernt, sie sich zunutze zu machen. Das Meer rings um die Insel steht ständig in Flammen. Kein Schiff, das nicht willkommen ist, könnte sich nähern, ohne zu verbrennen.«
»Woher weißt du das alles?« Endlich wagte Caiwen, die Frage zu stellen, die sie schon die ganze Zeit bewegte.
»Ich habe dir schon gesagt, dass Elethiriel und ich uns sehr nahe standen. Wir waren Freundinnen«, erwiderte Finearfin, und ihre Stimme wurde sanft. »Als sie nach der Verbannung Nimeyes auf das Amt der Hohepriesterin vorbereitet wurde, teilte man mich als ihre persönliche Leibwache ein. Wir kamen uns schnell näher und erkannten, dass zwischen uns eine tiefe Seelenverwandtschaft bestand. Mir konnte sie anvertrauen, was sie niemandem zu erzählen wagte.« Finearfin seufzte. »Sie war einsam, Caiwen. Und sie litt sehr darunter, ihre Mutter verraten zu haben. Ich konnte ihr in ihrem Kummer nicht helfen, aber ich …«
»… ihre Mutter?« Caiwen keuchte auf, als ihr das ganze Ausmaß dessen, was Finearfin ihr da erzählte, bewusst wurde. »Heißt das, Nimeye ist die Mutter meiner Mutter?«
»Ja«, Finearfin nickte. »Nimeye ist Elethiriels Mutter - deine Großmutter.«
Caiwen starrte Finearfin an. Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen, versuchte sie zu ermessen, was diese unerwartete Wendung für sie bedeutete.
Ich bin vom Blute einer Verräterin! Der Gedanke erschütterte sie zutiefst, ließ ihr Herz schneller schlagen und drängte das Blut in heißen Strömen durch ihren Körper. Die Welt schien sich um sie zu drehen. Wie durch einen Schleier hörte sie Finearfin sagen:
»Du musst wissen, dass das Amt der Hohepriesterin im Zweistromland seit Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben wird. Deine Mutter erbte es von Nimeye. Sie selbst gab ihr gesamtes Wissen unmittelbar vor ihrem Tod an dich weiter, auf dass du dein Erbe antreten kannst, wenn du dafür bereit bist.«
… wenn dafür bereit bist . Caiwen kämpfte gegen die Bestürzung an, die sie lähmte. Sie hatte nach ihrer Herkunft gesucht und dabei Dinge erfahren, die sie sich nie erträumt hätte. Warum ich? Unaufhörlich kreisten die Worte hinter ihrer Stirn, während die Fassungslosigkeit und die Angst vor dem, was noch kommen mochte, allmählich zu einem neuen Gefühl verschmolzen: Wut.
Wut auf ihre Mutter, die sie verlassen hatte, als sie sie am meisten brauchte. Wut auf Nimeye, die nicht davor zurückgeschreckt hatte, das Leben ihrer einzigen Tochter aufs Spiel zu setzen, und Wut auf das Schicksal, das ihr ungefragt eine so schwere Verantwortung aufbürdete.
Das Gefühl gärte in ihr und schwoll so rasch an, dass Caiwen glaubte, es nicht länger aushalten zu
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