Das Vermächtnis der Feuerelfen
entthronen.« Finearfin verstummte und schaute Caiwen vielsagend an: »Nur dem Edelmut einer aufrechten Novizin ist es zu verdanken, dass es nicht so weit kam. Diese Novizin war damals
noch sehr jung und stand Nimeye sehr nahe. Sie wusste von Anfang an, was die Elfenpriesterin plante, hielt aber zunächst fest zu ihr. Was sie am Ende dazu bewogen hat, ihre Meisterin zu verraten, weiß niemand. Wir wissen nur, dass sie den König in der Nacht vor dem alles entscheidenden Angriff persönlich aufgesucht und gewarnt hat.«
»War es da nicht schon zu spät?«, warf Heylon ein, der dem Bericht bis zu diesem Augenblick gebannt gelauscht hatte.
»Es war spät, aber nicht zu spät. Der König besitzt eine erfahrene Leibgarde, die noch in der Nacht zusammengerufen wurde. So kam es, dass die Falle, die Nimeye für den König erdacht hatte, für sie und ihre Getreuen selbst zum Verhängnis wurde. Es gab ein kurzes Gefecht mit Opfern auf beiden Seiten. Am Ende aber triumphierte der König.« Finearfin nahm einen Schluck Wasser und fuhr fort: »Auf Verrat steht der Tod, aber unser König ließ Gnade walten. Er regiert gerecht und weise und hätte es nicht übers Herz gebracht, die verblendeten Söhne und Töchter all derer zu töten, die ihm so lange treu gedient hatten. Es wurde beschlossen, Nimeye und ihr Gefolge auf die karge Feuerinsel weit draußen im Ozean der Stürme zu verbannen und sie mit einem mächtigen Bann zu belegen, der sie tötet, sobald sie die Insel verlassen. Damit sollte sichergestellt werden, dass weder Nimeye noch einer ihrer Verbündeten jemals wieder einen Fuß auf das Festland setzt. Nur der König selbst oder seine Hohepriesterin können den Bann aufheben.«
»Aber die Eisdämonen …?«, hakte Caiwen nach, die aufmerksam zugehört hatte. »War das Zweistromland ihnen nicht schutzlos ausgeliefert, als Nimeye verbannt wurde?«
»Nicht ganz.« Finearfin schüttelte den Kopf. »So wie die Magie in den Wäldern ohne deine Mutter überdauert hat, wirkte sie auch damals noch weiter, denn Nimeye war ja noch am Leben. Außerdem wurde die mutige Novizin, die den König gewarnt hatte, nur wenige Sonnenaufgänge nach Nimeyes Verbannung
zur neuen Hohepriesterin und Patrona des Zweistromlandes geweiht.« Finearfin verstummte, schaute Caiwen an und fragte: »Weißt du, was das bedeutet?«
Caiwen zögerte. »Meine Mutter. Willst du damit sagen, dass diese Novizin meine Mutter war?«
»So ist es.« Finearfin lächelte. »Deine Mutter war es, die Nimeyes dunkle Pläne vereitelte und das Zweistromland vor der Finsternis bewahrte. Alle liebten und verehrten sie dafür, aber ich weiß, dass sie für ihren Mut einen hohen Preis bezahlte, der auch hundert Winter später noch einen schmerzlichen Schatten auf ihre Seele warf.«
»Aber sie tat das Richtige«, wandte Heylon ein. »Sie hätte stolz und glücklich sein müssen.«
»Ja, das hätte sie«, pflichtete Finearfin ihm bei. »Aber sie war es nicht. Denn obwohl sie durch ihre Tat das Vertrauen des Königs und großes Ansehen gewann, verlor sie doch im gleichen Zug alles, was ihr bis dahin lieb und teuer gewesen war. Sie hat den Verrat an Nimeye und den anderen Elfen bis zum Schluss nie verwunden. Ich weiß, dass sie das Leid der Verbannten spürte und sich bittere Vorwürfe machte.«
»Was geschah nach Nimeyes Verbannung?«, wollte Heylon wissen. »Kehrte wieder Frieden ein?«
»Zunächst schon.« Finearfin seufzte und für einen Augenblick wirkte sie traurig. »Fast zweihundert Winter lang. Dann aber geschah, was nie hätte geschehen dürfen. Die Schlangenkriegerin, die uns mehr als tausend Winter beschützt hatte, wurde gestohlen. Wir wissen bis heute nicht, wer die Täter waren, aber wir wissen inzwischen, dass sie in Nimeyes Auftrag handelten, denn die Statue befindet sich noch immer auf der Feuerinsel.«
»Warum hat sie das getan?«, fragte Caiwen.
»Nun, die Lebensbedingungen auf der Feuerinsel waren schlecht und sie wurden in den Jahrhunderten der Verbannung immer schlechter. Am Ende konnten selbst Nimeyes dunkle Zauberkünste
kaum noch etwas gegen die Wut der Erde ausrichten, die dort ihr heißes Blut und giftige Dämpfe aus ihrem Inneren an die Oberfläche presst. Viele Elfen wurden krank, manche starben. Sie flehten den König um Gnade an, der aber blieb hart. In ihrer Not entschlossen sie sich, den König der Elfen zu erpressen.
Ich vermute, dass sie Verbündete hatten, die die Wächterstatue in ihrem Auftrag stahlen. Nimeye hoffte wohl, mit dem
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