Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
zum Schweigen zu bringen. Andererseits gab es keinen Grund, nicht zu gehen. Hier, in Arida, wurden seine Fähigkeiten nicht benötigt. Er war kein Soldat oder Heerführer, Kriegsstrategien stellten für ihn ein Rätsel dar, und um die Verletzungen, die bei den täglichen Waffenübungen unvermeidbar waren, zu versorgen, benötigte man keinen Heiler.
Zusammen mit Julius trat er durch das hohe Tor in der Palastmauer. Hier warteten bereits Philipe und François. Beide trugen Schwerter und Bögen und waren im Schnee, der in der Nacht gefallen war, kaum zu erkennen. Auch Julius, der zumindest nach den Maßstäben der Kandari kaum mehr als ein mittelmäßiger Kämpfer war, war heute bewaffnet. Für einen kurzen Augenblick wünschte sich Felicius, ebenfalls eine Waffe zu haben. Aber dann verwarf er den Gedanken als beginnenden Verfolgungswahn, der alle Gildemitglieder und die meisten Menschen in Arida erfasst zu haben schien. Er war kein guter Fechter oder Bogenschütze, tatsächlich hatte er kaum genug gelernt, um ein Schwert am richtigen Ende anzufassen. Zudem war er unterwegs, um zu helfen, und nicht, um ein Gemetzel unter ihren Feinden zu veranstalten.
Julius erzählt:
Seit Beginn des Krieges hatte alles, das ich anfing, die Neigung, in einer Katastrophe zu enden: Bei meiner Reise durch Aquanien im Frühling des Jahres waren wir beinahe zu spät gekommen, um Arida zu retten; als ich Elaine zu ihrem Vater begleiten wollte, liefen wir in eine Falle der Brochonier und Pierre wurde gefangen genommen – auch dieser Ausflug stellte keine Ausnahme dar. Aber ich greife den Ereignissen voraus.
Ich verließ also am siebten Tag des elften Monats Arida, um Elaine in Askana abzuholen. Ich ritt zusammen mit den drei Kandari los, wie es mein Vater gewünscht hatte, und ich hätte gern gewusst, was die drei vorhatten. Für einen Moment fürchtete ich, Felicius werde sein Vorhaben aufgeben. Es kam selten vor, dass jemand sich entschloss, gegen Larenias Willen zu handeln. Ich hatte so etwas nie zuvor erlebt, doch ich war froh darüber. Obwohl ich ihn nicht besonders gut kannte, mochte ich Felicius sehr gern. Der kühle, stets überlegen wirkende François schüchterte mich ein und Philipes zynische Art war mir oft unverständlich. Felicius jedoch war weniger … distanziert und verschwiegen als die anderen Gildemitglieder. Zudem hatte mich seine Fähigkeit, Verletzungen und Krankheiten zu heilen, sehr beeindruckt.
Für die direkte Verbindung zwischen Arida und Askana benötigte man drei Tage. Entlang der Straße, eine der wenigen befestigten in Anoria, gab es keine anderen Städte oder Dörfer. Nur ein paar Bauernhöfe, die jetzt verlassen waren, standen am Wegesrand und vor langer Zeit waren einige Hütten, in denen Reisende Schutz finden konnten, errichtet worden. Allerdings trafen wir während des gesamten Ritts auf keine anderen Reisenden. Niemand reiste ohne Not im Winter. Auch ich hatte zu dieser Jahreszeit selten die Nähe der großen Städte verlassen. Es war ein sonderbares Gefühl, die Hochebene von Arida zu überqueren, die jetzt von Schnee bedeckt war und sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Am zweiten Tag unserer Reise verließen wir die Ebene und erreichten das Wald- und Wiesenland des mittleren Aquaniens. Wir sprachen wenig auf unserem Weg, aber ich erfuhr, warum die drei Kandari nach Askana unterwegs waren.
Felicius’ Motive waren leicht zu durchschauen. In Askana waren noch immer viele Frauen und Kinder, Flüchtlinge, die ihre Heimat vor der ersten Schlacht verlassen hatten, um in der einzigen befestigten Stadt Aquaniens Zuflucht zu suchen. Aber jetzt boten die Mauern Askanas keinen Schutz mehr und sie mussten weiter in Richtung Gebirge fliehen. Jedoch waren viele von ihnen krank und zu schwach, diese Reise zu beginnen. Felicius wollte ihnen helfen und sie bis an die Grenze zum Reich der Kandari begleiten. Philipes und François’ Aufträge waren anderer Art. Jetzt, da die Brochonier Anoria von drei Seiten bedrohten, mussten wir uns auf einen letzten, alles entscheidenden Kampf vorbereiten. François sollte nun Askana, unsere einzige Festung und wahrscheinlich letzte Hoffnung, auf eine längere Belagerung vorbereiten. Eugen verstand genauso wenig von Kriegstaktiken und Strategien wie ich und Larenia hatte meinem Vater sehr deutlich erklärt, dass es Selbstmord wäre, ihm die Aufrüstung der Stadt zu überlassen. Philipes Aufgabe war es, Cordac, den Fürsten der Terranier, zu finden, von
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