Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Wangen, andere schnappten mühsam nach Luft. „Bitte helft uns, Herrin. Einige von uns werden sonst die Nacht nicht überleben.“
Larenia seufzte: „Ich werde es versuchen, aber macht euch nicht zu viel Hoffnung.“
Sie reichte dem Jungen, der noch immer an der Wand stand, ihren Mantel. Dann kniete sie neben einem alten Mann, der still und bewegungslos dalag, nieder. Die Heilerin, die bisher jede ihrer Bewegungen verfolgt hatte, wandte den Blick ab und bedeutete ihren beiden Helferinnen, aufzustehen und ihre Arbeit fortzusetzen. Luke, der trotz der Wärme, die sich jetzt im Raum ausbreitete, noch immer zitternd dastand, drückte sie einen Becher mit heißem Tee in die Hand. Durstig wollte er den Inhalt seiner Tasse hinunterstürzen, dabei verschluckte er sich prompt, was ihm eine strenge Ermahnung der alten Frau einbrachte. Keiner von ihnen bemerkte Larenias Zögern.
Es war nicht so, dass sie an ihren Fähigkeiten zweifelte. Sie besaß die gleiche Gabe wie Felicius, auch wenn sie sie nur rein instinktiv und nicht mit der gleichen Präzision einsetzen konnte. Aber bereits jetzt, obwohl sie versuchte, die Gefühle und Gedanken der Menschen auszuschließen, fühlte sie die Todesangst derer, die noch klar denken konnten, ebenso deutlich wie die verworrenen und trüben Emotionen der Kranken und die Sorgen der alten Heilerin. Nachdem sie so viel Zeit abgeschirmt in der Sicherheit des Zauberturms verbracht hatte, raubte es ihr fast den Verstand. Mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen kämpfte sie gegen den Wahnsinn und den Impuls, aufzuspringen und davonzulaufen, sie rang um die Kontrolle ihrer Gedanken und ihrer Kräfte, ohne zu wissen, wie viel Zeit verging. Doch schließlich war da nichts mehr außer einer Stille, die sich sehr deutlich von der plötzlichen Leere nach dem Tod der Druiden in der ersten Schlacht unterschied und dem Bewusstsein, dass sie, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, die vollkommene Kontrolle über ihre Fähigkeiten hatte. Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass nicht mehr als die Dauer eines Herzschlags vergangen war. Dann erinnerte sie sich an ihre Aufgabe. Behutsam fasste sie nach der Hand des alten Mannes und dehnte ihre Wahrnehmungsfähigkeit aus. Es war bedeutend schwieriger, Krankheiten zu heilen als Verletzungen, schon allein, weil man sich gegen eine mögliche Ansteckung schützen musste. Aber schließlich gelang es ihr, die Krankheit zu besiegen, und als sie aufstand, schlief der alte Mann ruhig und friedlich. Zwar war er noch immer sehr schwach und würde sich nur langsam erholen, doch sein Leben war nicht länger in Gefahr. Larenia sah sich um. Das Mädchen, das der Heilerin geholfen hatte, lag zusammengerollt auf einem Strohsack an der Wand und schlief und das Heulen des Sturms war lauter geworden. Es war inzwischen weit nach Mitternacht. Mit einer müden, beinahe resignierten Bewegung strich sie ihr weißes Haar zurück. Es waren noch so viele, so viele, die ihre Hilfe brauchten. Und damit kam sie dem eigentlichen Problem nicht einmal nahe. Da begegnete sie dem Blick eines kleinen, vielleicht fünfjährigen Kindes, das sie aus großen, fiebrig glänzenden Augen ansah. Sie lächelte und setzte sich auf die Bettkante.
„Hab keine Angst“, flüsterte sie und strich mit ihren kühlen Fingern über die heiße Wange des Kindes, „es wird alles gut werden.“
Es stimmte, diesen Menschen zu helfen war nicht einmal der Ansatz einer Lösung. Und dennoch, es war ein Anfang …
Der nächste Tag brach an, obwohl man das in der Hütte kaum bemerkte. Hier herrschte inzwischen eine rege Betriebsamkeit. Die Menschen, die in der Nacht noch schwer krank dagelegen hatten, unterhielten sich jetzt leise oder liefen vorsichtig auf und ab. Eine Frau wiegte ihr Kind in den Armen, offensichtlich froh darüber, noch am Leben zu sein. Die Helferinnen der Heilerin verteilten das Frühstück. Doch wann immer ihr Blick auf Larenia fiel, verstummten die Gespräche, die Dorfbewohner erstarrten mitten in der Bewegung. Die Menschen waren dankbar, aber die Angst vor dem Übernatürlichen saß tief. Und diese neue Machtdemonstration der Kandari hatte ihnen ihre eigene Hilflosigkeit verdeutlicht. Zudem kannten sie alle die Geschichten und Legenden über Larenia, die Herrin der Gilde. Jedoch erschien es ihnen unmöglich, ihre Erscheinung mit der Sage in Einklang zu bringen.
Larenia verstand die zwiespältigen Gefühle der Dörfler durchaus. Ein Großteil der Kandari betrachtete
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