Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
dass diese Menschen“, mit einer unbestimmten Handbewegung schloss er die Bevölkerung von ganz Laprak mit ein, „nicht meine Feinde sind. Und dennoch … Das Kind, das sich die Finger verbrennt, wird das Feuer fürchten.“
Rowena sah, wie er bei diesen Worten die linke Hand zur Faust ballte. Von der Zeit seiner Gefangenschaft im Gefängnis von Andra’graco waren nur Erinnerungen geblieben. Eine Narbe an der linken Schulter, die sich deutlich von seiner hellen Haut abhob, war alles, was noch von seinen Verletzungen zu sehen war. Doch die Lektion der Vorsicht und des Misstrauens hatte er gut gelernt. Es tat Rowena leid. Nicht zuletzt um die Wärme und Vertrautheit, die sie beinahe von Anfang an verbunden hatte und die jetzt sofort kühler Überlegenheit wich, sobald sie nicht mehr allein waren. Das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, das sie in seiner Nähe empfand, war neu für Rowena. Sicher, auch zuvor war sie nicht allein gewesen. Immerhin war da noch Norvan, aber für ihn war sie nie mehr als die kleine Schwester gewesen, die er beschützen musste. Pierre jedoch schien mehr in ihr zu sehen. Mit großen, bewundernden Augen sah sie jetzt zu ihm auf, dann schüttelte sie diesen Gedanken ungeduldig ab.
„Zora wird sich freuen, dich wiederzusehen“, sagte sie in gespielt fröhlichem Tonfall und in der Bemühung, das Thema zu wechseln. Pierre nickte lächelnd: „Ich glaube, sie kann mir noch immer nicht verzeihen, dass ich überlebt habe.“
Rowena lachte und schüttelte die widerspenstigen Locken aus ihrem Gesicht: „Sie ist eine sehr rational denkende Frau. Das Übernatürliche existiert in ihren Augen nicht, obwohl ich denke, dass es ihr einfach Angst macht. Demnach ist deine Existenz für sie unmöglich.“
Diese Überzeugung hatte die brochonische Heilerin mehr als einmal kundgetan.
Sie bogen um eine letzte Ecke und erreichten Zoras kleines Haus am Rand der Stadt. Hier herrschte geschäftige Betriebsamkeit. Jeder in diesem Viertel wusste, dass sie zum Widerstand gehörte, und ihr Haus war so etwas wie das inoffizielle Hauptquartier des Untergrundes. Hier schenkte ihnen niemand Beachtung, weder Rowena in ihrer kostbaren Kleidung noch Pierre, dessen feingliedrige Gestalt und rotgoldenes Haar seine Herkunft deutlich verrieten.
Zora schien tatsächlich erfreut zu sein, sie zu sehen. Nach einer herzlichen Begrüßung, die Pierre, der an die reservierte, zurückhaltende Art der Gilde gewöhnt war, überraschte, führte sie die beiden durch zwei Zimmer hindurch in den Hinterhof ihres Anwesens. Dabei nannte sie ihnen im Eiltempo die Namen derer, die ihnen entgegenkamen. Pierre, der noch immer ein paar Probleme mit der Sprache Lapraks hatte, konnte ihr kaum folgen. Mit gespielt verzweifeltem Gesichtsausdruck drehte er sich zu Rowena um. Die junge Frau konnte nur mit einem Schulterzucken antworten und dabei versuchte sie, ihre Belustigung zu verbergen. Sobald sie den Hof betraten, verabschiedete sich Zora von ihnen und verschwand wieder im Getümmel. Pierre und Rowena sahen ihr atemlos nach.
„Nun“, amüsiert sah sich Rowena um. In einer Ecke des umzäunten Geländes übten sich ein paar Männer im Schwertkampf, sonst war niemand zu sehen, „wir sind hier sicher und die Menschen haben so die Gelegenheit, sich an dich zu gewöhnen.“
Pierre folgte ihrem Blick mit gerunzelter Stirn: „Ich verstehe nur nicht, was ihr von mir erwartet.“
„Vielleicht wissen wir es selbst nicht genau. Es gibt so viel zu tun“, sie beobachtete den ungeschickten Versuch des einen Kämpfers, einen Angriff zu parieren, dann wandte sie sich wieder dem Kandari zu und seufzte, „die wenigsten von uns können kämpfen. Wir sind unorganisiert, uneinig über das richtige Vorgehen. Wir haben keinen richtigen Anführer, denn Norvan muss sehr vorsichtig sein und kann sich nur selten mit den anderen treffen. Und einen anderen gab es bisher nicht.“
Pierre verstand die Anspielung, entschied sich aber, sie zu ignorieren: „Wenn es nur um Unterricht im Schwertkampf geht, kann ich euch helfen. Alles Weitere werden wir sehen.“
Er wartete ihre Antwort nicht ab. Stattdessen überquerte er den Hof und zog sein Schwert, während er auf die Männer zuging. Er sprach kurz mit ihnen. Rowena verstand die Worte nicht, aber sie erkannte, dass die Brochonier nicht glaubten, er könne sie besiegen. Offensichtlich forderten sie Pierre zu einem Kampf heraus, den der Kandari in kürzester Zeit für sich entschied.
Rowena, die noch immer an
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